Die Corona-Krise hat unsere Arbeitswelt maßgeblich verändert. In einer aktuellen Studie wurden die Erwartungen und Vorstellungen hinsichtlich der Führungsarbeit nach der Pandemie untersucht.
Viele Unternehmen konnten sich in der Pandemie erfolgreich auf das mobile Arbeiten hin ausrichten. Die Zukunft scheint den hybriden Arbeitsmodellen zu gehören. In ihrer aktuellen Folgestudie „Führung im neuen Normal“ zur Ausgangsstudie „Arbeiten in der Corona-Pandemie“ aus dem Jahr 2020 haben das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (DGFP) knapp 300 Personaler dazu befragt, wie Führungsarbeit unter diesen Bedingungen gestaltet werden muss und welche Kompetenzen von Führungskräften verlangt werden.
Führung bedeutet Mitarbeiterkommunikation
Zunächst wurde die Frage nach den sichtbaren und maßgeblichen Veränderungen der täglichen Führungsarbeit in der Corona-Pandemie untersucht. 64,9 Prozent der Befragten gaben an, dass die Kommunikation mehr geworden sei. 46,3 Prozent sahen eine Zunahme bei der Koordination und 43,4 Prozent hinsichtlich direkter Einzelgespräche. Damit verbunden ist ein insgesamt erhöhter Arbeitsaufwand für die Führungskräfte (43,2 Prozent). Auffällig ist, dass die Aussage „Führungskräfte delegieren langfristiger“ mit nur 19,6 Prozent die geringste Zustimmung erhielt. Die Forscher des Fraunhofer IAO interpretieren diese Ergebnisse dahingehend, dass das Fehlen der (gemeinsamen) räumlichen Präsenz mit all ihren Nebeneffekten eine sehr dedizierte, aktive Kommunikationsarbeit nötig macht, die, über Medien abgewickelt, anders geplant und teilweise aufwendiger in der Durchführung gemanagt werden muss.
Verschiedenartige Herausforderungen an Führungskräfte
Im nächsten Schritt wurde nach den größten Herausforderungen und deren Bewältigung seitens der Führungskräfte gefragt. Bezüglich der Frage, wie leicht oder schwer den Führungskräften die Bewältigung fällt, gehen vor allem jene Themen als die schwierigsten hervor, die eng mit persönlichen Aspekten, familiären Themen und Informalität zusammenhängen. „Schwer“ bzw. „sehr schwer“ ist der Umgang mit Mitarbeitenden, die wenig aktiv kommunizieren (54,7 Prozent bzw. 8,0 Prozent), das Aufrechterhalten informeller Kommunikation und Bindung (44,9 Prozent bzw. 9,6 Prozent), aber auch der Ausgleich erlebter Ungleichbelastung durch verschiedene familiäre Situationen der Mitarbeitenden (40,6 Prozent bzw. 3,8 Prozent).
Den Forschern zu Folge zeige dies das Dilemma der Führungskräfte, nicht nur fachliche Vorgesetzte, sondern im besten Fall auch zentrale Enabler eines guten Miteinanders und Arbeitsklimas zu sein. Aus Managementsicht ist das Ergebnis in Bezug auf das Thema „Wahrnehmung von Leistung“ von besonderer Bedeutung. Hier haben 31,8 Prozent der Befragten angegeben, dass diese Wahrnehmung eine schwer zu meisternde Herausforderung sei, 2,7 Prozent sagen sogar, dass ihnen dies „sehr schwer“ fällt. Für das Fraunhofer IAO zeigen diese Ergebnisse, warum „Führung auf Distanz“ mehr ist als nur die Abwicklung von Meetings im Online-Format. Viele Führungskräfte kämen zweifellos auch an die eigenen Grenzen und seien unsicher, welches persönliche Verhalten in dieser Ausnahmesituation derzeit angemessen sein kann.
Wichtige Kompetenzen: Vertrauen und Kommunikationsfähigkeit
Weiter bekamen die Befragten die Möglichkeit, die für das New Normal wichtigsten Kompetenzen für Führungskräfte in ein Gesamtranking zu überführen. Vertrauen und Kommunikationsfähigkeit wurden von den meisten Befragten mit weitem Abstand an die Spitze gewählt. Die Kommunikationsfähigkeit erklärt sich für die Initiatoren der Studie aus den Kernveränderungen der täglichen Führungsarbeit, in der Kommunikation und Interaktion auf allen Kanälen eine große Rolle zu spielen, auch um die verminderte räumliche Co-Präsenz und ihre Vorteile zu kompensieren. In der hybriden Arbeitswelt werde ebenso proaktive wie medienkompetente, wertschätzende Kommunikation und Ansprechbarkeit ein wesentlicher Schlüssel für gute Zusammenarbeit sein. Dennoch werde das Ausmaß direkter Begegnung und sozialer Einbindung und damit auch der Kontrolle geringer sein als vor der Corona-Pandemie, was die Bedeutung des Vertrauens so stark wachsen lasse, schlussfolgern die Forscher.
Die in der weiteren Folge genannten Kompetenzen weisen eine größere Varianz und damit geringere Eindeutigkeit im Ranking auf. Auf dem dritten Platz folgt Empathie, anschließend Delegationsfähigkeit und dann Planungs- und Organisationsfähigkeit. Die größte Varianz ist bei den Punkten „Medienkompetenz“ sowie „Kompetenzentwicklung von Mitarbeitenden“ zu sehen. Das Fachwissen wurde von den meisten Befragten gleichermaßen auf den letzten Platz gewählt. Hier nehmen die Forscher an, dass dieses schlicht vorausgesetzt wird und die anderen genannten Kompetenzen eine wirkliche beförderungs- und entwicklungsseitige Bedeutung bekommen sollen.
Relevante Nuancierungen
„Die Krise und ihre Bewältigung hat auch in Bezug auf das Führungsverständnis starke Spuren hinterlassen.“ Diesen Schluss zieht das Fraunhofer IAO aus den Ergebnissen zu den in Zukunft relevanten Nuancierungen des Führungsverständnisses. An erster Stelle steht hier die „Führungskraft als Veränderungsbegleiter“, die laut 69,8 Prozent der Befragten an Bedeutung zunehmen wird, eng gefolgt von der „Führungskraft als Entwicklungsbegleiter“ mit 53,3 Prozent. Beide Ausrichtungen reflektieren den Initiatoren zufolge stark das Verständnis, dass die Zukunft vor allem von schnellen Veränderungen, den damit verbundenen Unsicherheiten und der erforderlichen raschen Anpassungsfähigkeit hieran geprägt sein wird. Der „Führungskraft als Organisator“ wird hingegen der geringste Bedeutungszuwachs bzw. die größte Bedeutungsabnahme zugeschrieben.
Organisationsformen verändern sich
Zu dieser Veränderlichkeit passen auch die Angaben, welche organisatorisch neuen, bisher unüblichen Formen von Führung an Bedeutung gewinnen werden. Die dahinterliegenden Trends lassen sich mit den Stichworten Enthierarchisierung, mehr Selbstverantwortlichkeit, Führung ohne disziplinarische Gewalt und Führung als (temporäre) Rolle umschreiben. Eine Zunahme wurde für „Führung auf Zeit“ von 36,3 Prozent der Befragten angegeben, für „geteilte Führung“ von 42 Prozent und für „Führung ohne disziplinarische Kompetenz“ von 49 Prozent. Die Fraunhofer-IAO-Forscher sehen hier Optionen dafür, dass Führungsarbeit wieder attraktiver wird, auch für bisher unterrepräsentierte Gruppen (insbesondere Frauen).
Weiter gaben 34,3 Prozent der Befragten an, dass die Anzahl der Hierarchien abnehmen wird. Den Initiatoren der Studie scheint dieser Bedeutungsverlust für die Arbeit im New Normal durchaus folgerichtig. Denn obwohl Hierarchie als etabliertes Organisationsprinzip Klarheit und Verantwortlichkeit schaffe, könnten ausgeprägte Hierarchien gerade dann dysfunktional werden, wenn die Wettbewerbsumwelt dynamisch werde. Sie verlieren an Bedeutung, wenn schnelle, übergreifende Reaktionen erforderlich sind und zudem Menschen gewonnen werden sollen, die sich nicht mehr klaglos in vorgegebene Strukturen und Machtverteilungen einfügen wollen.