Wie geht es in Zeiten der Pandemie eigentlich den Coworking Spaces? Darüber sowie über Herkunft, Unterschiede, Trends und trennende Bindestriche haben wir mit dem Coworking-Experten Tobias Kremkau vom Berliner St. Oberholz gesprochen.
OFFICE ROXX: Tobias, du giltst als Coworking-Papst. Bitte kläre uns auf: Wie bzw. mit wie vielen Bindestrichen sollte man Coworking-Space schreiben?
Tobias Kremkau: Mit keinem, denn dieser trennt. Beim Coworking geht es aber um ein Miteinander. Es sollte auch im Englischen ein Unterschied zu den Mitarbeitern (englisch „co-worker“) gemacht werden, denn die anderen Menschen in einem Coworking Space sind eher, im besten Sinne des Wortes, Komplizen. Deshalb wurde der Bindestrich bewusst weggelassen. 2018 hat auch das berühmte AP Stylebook, in der Unternehmenskommunikation so etwas wie der Goldstandard in Bezug auf die englische Grammatik und Verwendungsregeln, den Bindestrich gestrichen. Das war damals eine lang ersehnte und sehr freudige Nachricht für die Coworking-Szene, die fast zehn Jahre darum gebeten hatte.
Wir sind mit „Coworking-Space“ bislang dem Duden gefolgt, der aktuell drei Schreibweisen kennt, nur noch nicht die von dir präferierte. Aber du hast uns überzeugt: Von nun an schreiben wir „Coworking Space“.
Wer hat denn das Coworking Space eigentlich erfunden?
Die einzelnen Aspekte des Coworking wurden über eine lange Zeit an verschiedenen Orten erprobt. Schon im 15. Jahrhundert arbeiteten in Florentiner „Bottegas“ Künstler gemeinsam an Innovationen. Zweihundert Jahre später etablierten Venezianer Kaffeehäuser, wie sie sie schon aus arabischen Ländern kannten, als Orte des interkulturellen Miteinanders. Im 19. Jahrhundert kamen Büros als Orte der Arbeit in einer Dienstleistungsgesellschaft dazu. Das letzte Puzzleteil war dann das WLAN. Es ermöglichte den Menschen, sich den Arbeitsort selbst auszusuchen. Ihnen boten 2005 zuerst Ansgar Oberholz in Berlin und etwas später Brad Neuberg in San Francisco eine neue Art von Ort an. Das Coworking Space.
Wie viele Spaces gibt es derzeit in Deutschland?
Das ist nicht genau zu sagen. Es gibt keine zuverlässigen Untersuchungen dazu. Außerdem ist nicht immer ganz klar, was ein Coworking Space ist und was vielleicht eine andere Kategorie von Ort, die aber auch Coworking mit anbietet. Doch mit einer niedrigschwelligen Definition von Coworking würde ich von rund 800 bis 1.000 Coworking Spaces deutschlandweit ausgehen.
Wie sind die Coworking Spaces hierzulande bislang durch die Corona-Krise gekommen?
Die Corona-Krise hat die Coworking Spaces sehr hart getroffen. Bisher gab es zwar nur wenige Geschäftsaufgaben, aber dies wird in den nächsten Monaten zunehmen. Ich weiß von sehr vielen Betreibern, dass sie nicht wissen, ob es sie im nächsten Jahr noch geben wird. Wer bisher vor allem mit Events und Besprechungsräumen seinen Umsatz erzielte, den traf es besonders hart. Es geht aber nicht jedem Coworking Space schlecht. Viele konnten aufgrund des Homeoffice-Blues sogar ein Mitgliederwachstum verzeichnen. Die Nachfrage nach Teamräumen wächst ebenfalls, da immer mehr Unternehmen flexiblere Lösungen dem Büro vorziehen. Kleinere Coworking Spaces, die schon länger existieren, scheinen ganz gut durch die Krise zu kommen.
Für die Bertelsmann-Stiftung hast du viele Interviews mit Coworking Spaces geführt. Deine gesammelten Eindrücke sind unter dem Titel „Neue Orte des Arbeitens“ veröffentlicht worden. Was ist deine Quintessenz aus all den Begegnungen?
Dass es so viel mehr gibt als nur Coworking Spaces, aber die meisten diesen Begriff in ihrer Selbstbeschreibung benutzen. Ich habe auch verstanden, dass Orte mit einem hohen Grad an Community oft weniger Umsatz machen als die Orte, die auf Fläche als ihr Produkt setzen. Je mehr ein Ort werteorientiert arbeitet, desto weniger Umsatz und Profit erzielt dieser im direkten Vergleich. Mich hat sehr beeindruckt, dass es wesentlich mehr Shared Workspaces gibt, deren Geschäftsmodell nicht der Zugang zum Arbeitsplatz selbst ist bzw. die überhaupt kein Geschäftsmodell haben. Doch auch bei ihnen, sei es eine Bibliothek, ein Makerspace oder eine Hotellobby, arbeiten Menschen wie in einem Coworking Space zusammen. Coworking kann auch ein Service sein.
Du unterscheidest Shared Workspaces in verschiedene Kategorien. Was gehört für dich wozu?
Ich habe die Auflistung der Shared Workspaces in die Kategorien Büro, Werkstatt und Dritte Orte unterteilt. Unter Büro habe ich Coworking Spaces, Bürogemeinschaften, Retreat Spaces, Serviced Offices und Business Center erfasst. Als Werkstatt habe ich Repair Cafés, Hacker Spaces, Makerspaces und Fab Labs eingeordnet. Dritte Orte waren beispielsweise Gastronomien, Bibliotheken, Lobbys in Hotels, Banken oder Einkaufszentren und der Zug.
Deine Interviews haben vor dem Ausbruch der Pandemie stattgefunden. Könnten wir nach dem Ende der Corona-Krise eine andere Coworking-Landschaft vorfinden?
Ja, sicherlich eine andere Coworking-Landschaft, aber womöglich nur einen bedingt veränderten Shared-Workspace-Markt. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass es mehr Dritte Orte geben wird, an denen Menschen zusammenarbeiten. Ich denke da an Ladengeschäfte, aber auch an Museen oder sogar Schulen. Orte der Kategorie Büro werden sich aber kaum verändern.
Welche spannenden Coworking-Trends gibt es für dich im Moment?
Zu überleben ist momentan der spannendste Trend, denn dafür versuchen Coworking Spaces ihre Geschäftsmodelle weitmöglich zu diversifizieren. Schon vor der Corona-Krise haben wir aber auch die Entwicklung bemerkt, dass Coworking wie ein Betriebssystem auf Immobilien angewendet wird, sozusagen Coworking-as-a-Service. Dies wird bei einem kollabierenden Immobilienmarkt wohl an Relevanz zunehmen, um Orte attraktiver zu machen. Das Thema Coworking im ländlichen Raum hat durch die Corona-Krise, aber auch die Klimakatastrophe, stark an Bedeutung gewonnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Coworking seine gesellschaftliche Relevanz auf dem Land beweisen wird. Hier kann Coworking neue Impulse setzen, helfen den Verkehr und damit auch CO2-Emissionen zu reduzieren sowie Zuzug zu fördern.
Das St. Oberholz ist ein echter Coworking-Pionier. Immer wieder habt ihr wegweisende Ideen. Woran arbeitet ihr gerade?
Auch für uns ist die Krise noch nicht vorbei. Sie führte dazu, dass wir unsere Prozesse noch digitaler denken. Und das alles, während wir dabei sind, zwei neue St. Oberholz zu eröffnen: in Potsdam-Babelsberg und in Berlin-Friedenau. Wir entwickelten aber auch zwei vollkommen neue Produktkategorien in unserem Portfolio, um auf die veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt besser und schneller zu reagieren: St. Home und St. Share. Mit St. Home helfen wir den Menschen, die überstürzt dazu gezwungen waren, von ihrem Zuhause aus zu arbeiten, dieses mit den passenden Möbeln in einen Ort der Arbeit zu verwandeln. St. Share bietet Vermietern und Immobilienbesitzern die Möglichkeit, mit unserer Unterstützung flexible Zwischennutzungen für auf einmal leerstehende Flächen umzusetzen. So können deren Liegenschaften belebt und die Vermarktung vereinfacht werden.
Vielen Dank und viel Erfolg!
Die Fragen stellte Robert Nehring.