Was das Gegenüber sagt und was es tatsächlich meint, sind nicht immer dasselbe. Stefan Häseli karikiert im ersten Teil seiner Kolumne die Probleme des Hörens, Verstehens und Umsetzens von Maßnahmen in Meetings. Vorhang auf für Hannes.
Montagmorgen, 8 Uhr. Hannes bereitet sich auf die Geschäftsleitungssitzung vor. Ein wöchentliches Ritual. Beginn 8:30 Uhr, Kaffee um 10 Uhr. Letzterer wird wegen der überfrachteten Tagesordnung jeweils spontan gestrichen. Offizieller Schluss 11:45 Uhr, faktisch nie vor 12:30 Uhr. Deshalb genehmigt Hannes sich den Kaffee prophylaktisch.
Traumjob Protokoll schreiben
Mitten in den Vorbereitungen klingelt sein Handy. Sein Chef sucht ihn: „Könntest du heute das Protokoll der Sitzung führen? Weil du wenige Tagesordnungspunkte hast, möchte ich dir diese wichtige Aufgabe übertragen. Du weißt doch, der Protokollführer ist die wichtigste Person – neben dem Chef.“ „Mach ich“, gibt Hannes zurück und denkt: „Von wegen die wichtigste Person – eine plumpe Schmeichelei.“
Immer nach der Tagesordnung
Der Chef eröffnet: „Ich möchte euch alle herzlich begrüßen.“ Hannes schreibt mit und stolpert über das Wort „möchte“. Warum „möchte“? Er könnte es einfach tun. „Wir haben heute eine sportliche Tagesordnungsliste.“ Der Spruch ist immer derselbe, genauso wie das Lachen aller. Dann präsentiert der Verkaufsleiter die Verkaufszahlen der vergangenen Woche. „Warum habt ihr nicht mehr Gas gegeben?“, fragt der Chef. Der Verkaufsleiter: „Die Marktsituation ist schwierig. Die Mitbewerber produzieren fast ausschließlich in China und haben bessere Preise.“ Der Produktionsleiter rutscht auf seinem Stuhl hin und her: „Wir arbeiten bereits mit den Kosten am unteren Limit. Ich kann nicht akzeptieren, dass wir an den schlechten Verkaufszahlen schuld sind.“ Der Chef greift ein: „Man müsste halt schauen, wo wir Optimierungsmöglichkeiten haben, damit wir kostenmäßig wieder konkurrenzfähiger werden.“ Hannes protokolliert, bis ihn der Ausdruck „Man müsste halt“ stocken lässt. In seinem Protokoll fehlt, wer was bis wann macht. Alles nicht mehr als Absichtserklärungen.
Die zweite Halbzeit
Man ist bereits jetzt im Verzug. Der Chef schlägt vor, ausnahmsweise auf die Kaffeepause zu verzichten. „Kein Problem“, hallt es aus der Runde. Der HR-Leiter gibt zu bedenken, dass man auch eine ganztägige Sitzung planen könnte, um den Aufgabenberg abzubauen. „Gute Idee“, ist das Echo. Der Chef präzisiert: „Das sollten wir angehen.“ Hannes überlegt: „Absichtserklärung oder Ziel?“ Dabei beobachtet er, wie einige am Tablet mitschreiben. Später, in seinem Büro, wird er E-Mails von Kollegen erhalten, die sie am Vormittag geschrieben haben. Das lässt sich gut getarnt erledigen. Noch ein paar Mal erwischt sich Hannes beim Gedanken „Absichtserklärung“. Er macht sich einen Sport daraus, Wendungen wie „man sollte“ oder „man müsste“ zu zählen. Nach vier Stunden kommt der Chef zum Schluss. Es ist 12:45 Uhr, und der Chef verabschiedet sich: „Ich möchte mich herzlich bei Ihnen bedanken.“ – Die letzte Absichtserklärung des Vormittags.
Stefan Häseli ist Autor, Trainer |