Die Digitalisierung des Arbeitsalltags soll dem Office-Worker mehr Freiheit verschaffen. Aber leistet sie das auch? Wir sprachen mit dem Autor und Unternehmer Markus Albers über die ernüchternde Wirklichkeit, über Auswege aus der digitalen Erschöpfung und die Zukunft guter Büroarbeit.
OFFICE ROXX: Herr Albers, in Büchern wie „Morgen komm’ ich später rein“ (2008) und „Meconomy“ (2009) haben Sie Kerzen für mehr Flexibilität bzw. mehr mobile Immer-und-überall-Arbeit angezündet. Wollen Sie diese New-Work-Lichter mit Ihrem neuen Buch wieder auspusten?
Markus Albers: Bei der sogenannten Neuen Arbeit ging es darum, mit intelligenteren Arbeitsweisen effizienter zu sein. Dann zu arbeiten, wenn man am produktivsten ist, und so die Arbeit von acht oder neun Stunden in fünf zu erledigen. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: 84 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer sind nach Feierabend erreichbar. 46 Prozent geben an, keine Fünf-Tage-Woche zu haben. Die Krankenkassen schlagen schon Alarm. Über 50 Prozent aller Befragten haben Schlafprobleme. Die Hoffnung vieler Menschen, dass Technologie uns ein besseres Leben ermöglichen kann, weicht zusehends der Ernüchterung. Insofern ist die digitale Erschöpfung, von der ich schreibe, eine doppelte. Gemeint ist die konkrete Erschöpfung, die das Always-on des Digitalen in uns auslöst. Aber ebenso die abstrakte, begriffliche eines sich erschöpfenden Heilsversprechens.
Wann haben Sie das erste Mal Anzeichen digitaler Erschöpfung bei sich festgestellt und welche waren das?
Als meine damals vierjährige Tochter zum ersten Mal sagte „Schau nicht immer auf dein Handy, Papa“, war ich erst amüsiert, dann betroffen, dann hilflos. Denn ich habe gemerkt, dass ich nicht aufhören konnte, nie wirklich präsent war. So ein Vater wollte ich nicht sein.
Always-on, zu viele Calls, Chats, Mails, Meetings – „slacken“ wir uns zu Tode?
Ich habe mir von Suchtforschern erklären lassen, warum wir alle von den ständig neuen Nachrichten abhängig sind – Psychologen nennen das Phänomen „intermittierende Verstärkung“. Ich habe auch mit Technologiekritikern darüber gesprochen, dass Tech-Konzerne ihre Produkte auf maximale Nutzung hin konzipieren. Das größte Problem ist aus meiner Sicht jedoch eine Arbeitswelt, die das Neue einführt, aber zugleich am Alten festhält: Wir sollen abends um elf noch E-Mails beantworten, aber morgens um neun wieder am Schreibtisch sitzen. Beides zusammen macht die Menschen kaputt.
Wie lässt sich digitaler Ermüdung konkret vorbeugen?
Ich habe Experten um Rat gefragt und daraufhin verschiedenste Techniken ausprobiert, die ich in meinem Buch detailliert beschreibe, vom Batching der Kommunikation über das Umstellen des Kalenders vom Manager’s Schedule auf den Maker’s Schedule bis zum Dumb-Phone, das nur telefonieren und SMS schicken kann. Manche haben sich als wenig hilfreich herausgestellt, aber viele funktionieren.
Wie realistisch ist es, sich der Informationsflut mit Digitaldiät & Co. entziehen zu können und zu dürfen?
Wir werden die Uhr nicht wieder zurückdrehen zum Nine-to-five-Arbeitstag und dem guten alten Feierabend. Für mich läuft es auf eine fast schon philosophische Frage hinaus: Wie verbinde ich die Liebe zum Job mit der Liebe zu meiner Tochter? Wie schaffen wir es, an dieser historischen Weichenstellung, an der sich entscheidet, wohin wir den Einfluss der Technisierung der Arbeitswelt auf unser restliches Leben steuern wollen, nicht die falsche Abbiegung zu nehmen?
Was sind für Sie die wichtigsten Zutaten für gute Büroarbeit?
Wir alle müssen wieder lernen, den digitalen Wildwuchs zurückzuschneiden und das Nicht-Digitale zu trainieren. Um dann natürlich trotzdem neue Technologien einzusetzen. Ich bin jemand, der Tools und Gadgets als Erster ausprobiert. Nur eben nicht auf Kosten echter menschlicher Beziehungen.
Und wie wird Büroarbeit wohl in zehn Jahren aussehen?
Die Zeit, in der wir ständig auf Bildschirme schauen, geht jedenfalls gerade zu Ende. Als Apple die Kopfhörerbuchse am iPhone wegließ und Nutzern empfahl, drahtlose Knöpfe im Ohr zu tragen, war das der erste Schritt in eine Welt von sprachgesteuerten Systemen und lernenden Personal Assistants. Im besten Fall kann das bedeuten, dass wir künftig wieder mehr von unserer Umwelt mitbekommen. Zugleich lässt mich der Gedanke daran aber auch erschaudern. Wenn die intelligenten Assistenten uns per Knopf im Ohr ständig begleiten, können wir dann überhaupt noch jemals abschalten?
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Robert Nehring.
Das Buch zum ThemaMarkus Albers: „Digitale Erschöpfung. Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen“, Hanser, 288 S., 22 €. |