Muss ein neuer Monitor her, obwohl der alte noch funktioniert? Oder ein neues iPhone, nur weil Apple den Nachfolger gelauncht hat? Solche Fragen werden heute unter dem Begriff Obsoleszenz diskutiert. Christoph Schneider über ihre Bedeutung und Auswirkungen.
Die Ursprünge der Produktobsoleszenz gehen auf die Jahre um 1920 zurück. Alfred P. Sloan, damaliger Präsident von General Motors, hatte die Idee, jedes Jahr neue, veränderte Automobile auf den Markt zu bringen, um die Kunden zur Anschaffung eines Neuwagens zu verleiten. Dass das alte Auto noch tadellos funktionierte, spielte dabei keine Rolle. Noch ein Schritt radikaler war die Idee von Unternehmen, in Produkte gezielt „Sollbruchstellen“ einzubauen, indem sie einen qualitativ schlechteren Rohstoff verwendeten. Beispiel Feinstrumpfhose: Entwickler hatten 1935 Nylon als ein extrem reißfestes Gewebe für Damenstrumpfhosen präsentiert, und die Kundinnen waren begeistert. Die Absätze des Herstellers DuPont jedoch brachen durch die haltbaren Strumpfhosen dramatisch ein, sodass in der Folge nur noch solche produziert wurden, bei denen es nach wenigen Monaten zu Laufmaschen kam.
Auswege aus der Depression
Zu dieser Zeit wurde auch erstmals der Begriff der geplanten Obsoleszenz verwendet: In seinem Pamphlet „Ending the Depression Through Planned Obsolescence“ aus dem Jahr 1932 setzt sich Bernard London für eine Reduktion der Lebensdauer von Produkten ein, um so die Weltwirtschaftskrise von 1929 zu überwinden. Dazu sollten Ingenieure, Ökonomen und Mathematiker im Auftrag der US-Regierung die Lebensdauer von Produkten definieren.
Verschiedene Formen
Neben der geplanten Obsoleszenz trifft man häufig eine weitere Form an: die psychologische Obsoleszenz. Hierunter versteht man, was Autohersteller Sloan bereits in den 1920ern entwickelte und Apple & Co. heutzutage in Reinform zelebrieren. Stichwort: Smartphones. Sie sind ein vorzügliches Beispiel für eine Mischung aus geplanter und psychologischer Obsoleszenz. Zum einen lassen sich diese Geräte fast nicht reparieren, abgesehen davon, dass eine Reparatur sich häufig nicht lohnt. Zum anderen bringen die Hersteller in immer schnelleren Zyklen neue Produkte auf den Markt, die sich kaum von den alten unterscheiden. Dennoch wird durch geschickte Kundenansprache das Gefühl erzeugt, man brauche das neue Gerät.
Eine dritte Form ist die funktionelle Obsoleszenz, welche, wie Wolfgang Heckl in „Die Kultur der Reparatur“ beschreibt, immer dann auftritt, „wenn eine neue, bessere Funktion für ein Gerät entwickelt wurde“. Oft ist für Nutzer nicht eindeutig zu bewerten, inwiefern diese Neuentwicklung es nötig macht, das alte Gerät tatsächlich abzuschaffen. Kann das iPhone 5s tatsächlich so viel mehr als das iPhone 5? Ein genaues Hinschauen lohnt sich immer.
Geplant oder unvermeidbar?
In den letzten 100 Jahren hat es einige Fälle gegeben, die eine absichtlich verfolgte Strategie des „Kaputtgehens“ nahelegen. Ein prominentes Beispiel ist die Glühbirne. 1924 wurde von den damals führenden Glühlampenherstellern das sogenannte Phoebuskartell gegründet. Es beschloss, die Brenndauer von Glühbirnen von 2.500 auf 1.000 Stunden zu reduzieren.
Dass es sich in den meisten Fällen aber nicht um eine großangelegte Verschwörung handelt, sondern Produktverschleiß vielmehr das Ergebnis des Optimums aus Materialeinsatz und Preis ist, stellt Wolfgang Heckl dar: Der Kunde selbst, der ein Produkt zu einem möglichst geringen Preis kaufen möchte, befördert diesen Trend. Die Industrie befriedigt diese Interessen mit minderwertigen Produkten. Eine geplante Obsoleszenz nachzuweisen, ist allerdings schwer bis unmöglich. Im März 2013 bestätigte Jürgen Nadler, wissenschaftlicher Leiter bei der Stiftung Warentest, dass Letztere bei ihren Tests bislang keine Anhaltspunkte dafür gefunden hat.
Sodom und Gomorra
Ob seitens der Hersteller geplant oder vom Konsumenten nicht sorgfältig bedacht – was sich aus Obsoleszenzen für Umwelt und Menschen in vielen Ländern ergibt, ist verheerend. Wie die Kehrseite der technischen Aufrüstung des Westens aussieht, zeigt sich etwa in Agbogbloshie, einem Vorort von Ghanas Hauptstadt Accra. Der Fotograf Pieter Hugo hat sie in seinem Fotoband „Permanent Error“ eindrücklich dokumentiert. Häufig als Sodom und Gomorra bezeichnet, landet dort ein Großteil des Elektroschrotts aus der westlichen Welt. Kinder und Jugendliche verbrennen alte Geräte, um Kupfer, Aluminium und Blei zu gewinnen, welches sie wieder für geringe Summen an Exporteure verkaufen. Der Schrott bleibt in Afrika, die humanitäre und ökologische Katastrophe ebenfalls. Schon deshalb sollten Unternehmen sich auf die Langlebigkeit sowie Reparatur- und Recyclingfähigkeit von technischen Produkten konzentrieren.
Auch aus Deutschland, besonders vom Hamburger Hafen aus, wird jeden Monat tonnenweise Elektroschrott verschifft. Häufig deklariert als noch brauchbare Secondhandware, machen sich Computer, Drucker, Fernseher, Kühlschränke oder Mobiltelefone auf die Reise – auch trotz des von Deutschland ratifizierten Basler Übereinkommens aus dem Jahr 1989, das zum Ziel hat, ein umweltgerechtes Abfallmanagement einzuführen und den Transport von Elektroschrott aus Europa nach unter anderem Afrika zu unterbinden. Problematisch ist, dass zwar der Müllexport verboten wird, jedoch die Ausfuhr vermeintlich wiederverwertbarer Secondhandwaren erlaubt ist – unabhängig von deren Nutzen für die importierenden Länder.
Neue (Aus-)Wege
Wolfgang Heckl macht darauf aufmerksam, dass die kleinen Schritte eines jeden Einzelnen große Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt haben können, da die Industrie auf das Verhalten der Verbraucher reagiere. Doch was sind diese kleinen Impulse, Schritte, Effekte? Heckl nennt etwa die Reparatur. Sein Credo lautet, dass es sich immer lohnt, zuerst zu schauen, ob ein Produkt noch repariert werden kann, bevor es weggeworfen wird. Selbstverständlich würden leicht zu reparierende Produkte dies vereinfachen. Das iPhone oder der iPod von Apple etwa galten lange als irreparabel. Seit Ende 2013 schafft hier aber zum Beispiel der Online-Versand IFIXIT mit einem europäischen Store Abhilfe. Im Internet findet man zahlreiche Anleitungen und passende Werkzeuge, um so gut wie alle aktuellen Mobiltelefone, Tablets oder viele weitere Haushaltsgeräte zu reparieren.
Ein weiterer Ansatz, der bereits seit Jahren im Gespräch ist und von einigen Firmen umgesetzt wird, ist die Cradle-to-Cradle-Philosophie. Ihre Begründer Michael Braungart und William McDonough setzen sich für ein System ein, bei dem das Material seine Nutzbarkeit für möglichst unendlich viele Lebenszyklen aufrechterhalten oder steigern kann. Gefordert sind letztlich beide: Hersteller und Konsumenten.
http://eustore.ifixit.com, www.murks-nein-danke.de, www.test.de