Sonne lacht, Blende acht – wer will da den ganzen Tag im fensterlosen Meetingraum oder bei Videocalls im Homeoffice verbringen? Die Berliner Innovationsberatung launchlabs hat eine Lösung für Meetings im Freien entwickelt. Der Outdoormeeting-Pionier Simon Blake erklärt sie.
OFFICE ROXX: Simon, zumindest unter Wissensarbeitern ist derzeit der Begriff Workation sehr präsent – du hast einen besonderen Bezug zu ihm ...
Simon Blake: Das stimmt, denn ich habe ihn tatsächlich einmal geprägt: 2011 startete ich ein Experiment unter dem Motto „Da arbeiten, wo andere Urlaub machen“. Das habe ich Workation genannt. Diesen Begriff gab es noch nicht. Die Google-Suche danach antwortete damals: „Meinen Sie Workstation?“ Ich meinte mit Workation, für kurze Zeit ein ähnliches Arbeitsgefühl zu haben, wie es die seinerzeit schon bekannten „digitalen Nomaden“ über Facebook und Co. vermittelten. Arbeiten mit dem Notebook im Grünen oder an einem See bei Sonnenschein. Der Twist war aber, dass man abends wieder in seinem eigenen Bett schlafen konnte. Workation war also ursprünglich ein regionales Konzept.
Unsere erste Workation-Week fand vor den Toren Berlins statt – mit Blick auf die Schlösser, Seen und Gärten, die Potsdam und Umgebung zu bieten haben. Gemacht für Berliner und Menschen aus dem Umland, die innerhalb von vierzig Minuten vom Berliner Hauptbahnhof aus unsere Locations erreichen konnten. Das Thema blieb lange ziemlich unter dem Radar, obwohl sich schnell ähnliche Konzepte verbreiteten.
Wie ging es denn zunächst weiter?
Die Ersten, die mit dem Begriff Workation ein Businessmodel aufgebaut haben, waren die Kolleginnen und Kollegen von Coconat, einem Coworking Space in Bad Belzig. Workation ist also made in Brandenburg.
Interessant anzusehen war dann es, wie während der Pandemie aus dem Thema plötzlich ein riesiger Hype wurde. Irgendwann machte sogar die Tui Werbung mit Workation, weil viele im Homeoffice saßen und Geschäftsreisen erlaubt waren, während privater Urlaub im Ausland noch nicht wieder möglich war. Mit der neuen Freiheit hatten sich anscheinend viele Menschen gefragt, an welchen Plätzen man denn noch so seine Arbeit erledigen kann, wenn man nicht zwangsweise an seinen Bürostuhl gebunden ist.
Social Media ist voll von Bildern mit Notebook und Drink auf der Sonnenterrasse – Workation bietet auch die Möglichkeit, an der frischen Luft zu arbeiten ...
Ja auf jeden Fall. Der Grundgedanke ist: Wenn es im Sommer draußen schön ist, warum muss ich mich dann unbedingt in ein Bürogebäude begeben oder mir einen Urlaubstag nehmen, um das Wetter zu genießen? Beim Arbeiten mit Ausblick gehen auch eher unliebsame Aufgaben leichter von der Hand, sei es das Durcharbeiten von Akten oder das Redigieren von Texten beispielsweise. Besonders viel Drive bekommen aber viele Menschen, wenn sie sich kreative Aufgaben mit ins Grüne nehmen. Die ungewohnte Umgebung mitten in der Natur kann stimulierend wirken, sodass man leichter aus gewohnten Denkmustern ausbricht. Wenn man dann noch mit Gleichgesinnten zusammen ist, entsteht zusätzlich ein Gemeinschaftsgefühl, das man zum Beispiel im Homeoffice vergebens sucht.
Neben diesen eher kognitiven und emotionalen Vorteilen kann Workation auch positive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit haben: Wir machen zum Beispiel mit den launchlabs auf unseren Workations öfter sogenannte Walking Meetings, bei denen wir uns ein Besprechungsthema auf einen kleinen Spaziergang mitnehmen. Durch das Spazieren tut man seinem Körper und dem Geist etwas Gutes. Ein ordentlicher Stuhl mit Schreibtischfläche sollte natürlich trotzdem an einem Workation-Arbeitsort vorhanden sein. Viele von den Bildern auf Social Media zeigen Arbeitssituationen, die im richtigen Leben nicht funktionieren: Zum Beispiel kann ich nicht lange bei strahlender Sonne im Schneidersitz auf einem Bootssteg mit meinem Notebook arbeiten, da durch die ganzen Lichtreflexionen auf meinem Screen kaum etwas zu erkennen ist und auch mein Rücken sich nach ein paar Minuten zurück an einen ergonomischen Arbeitsplatz sehnt. Aber wenn man sich gut vorbereitet und die Vorteile des Arbeitens im Freien nutzt, kann das durchaus sehr gesundheitsfördernd sein.
Mit dem „Flying Office“ habt ihr eine Art Meetingbike entwickelt. Was verbirgt sich dahinter?
Das Flying Office hat sich aus der Erkenntnis heraus entwickelt, dass Workations doch einen gewissen Planungsaufwand benötigen: Man muss die richtige Location finden und schauen, dass dort genügend Arbeitsplätze indoor und outdoor vorhanden sind. Denn man weiß ja nie, ob das Wetter gut sein wird. Außerdem muss man die ganze Anreiselogistik und eventuell auch Übernachtungen arrangieren. Mit dem Flying Office lassen sich nun spontane Workations in der Nähe machen, da es ein ganzes Büro samt Schreibtisch und Whiteboards auf einem handelsüblichen Lastenrad beherbergt. So kann allein oder im Team einfach an einem sonnigen Tag ins Grüne geradelt und alles mitgenommen werden, was zum Arbeiten benötigt wird.
Was gehört noch zur Ausstattung des Flying Office?
Wir bringen auf dem Flying Office neben dem Schreibtisch in Stehhöhe mehrere Quadratmeter Whiteboardfläche unter. Es gibt Platz für Getränkekisten, Moderationsmaterial und sogar für Luftsofas, auf denen sich während der Arbeitspausen gemütlich herumlümmeln lässt. Außerdem gibt es ein abschließbares Fach für Notebooks und andere Technik. Wir haben eine große Powerbank und einen 5G-Router für die Internetverbindung dabei. Damit sind wir so gut wie autark. Nur Toiletten sollten irgendwo in der Nähe sein, aber meist findet sich in der Nähe von inspirierenden Orten im Grünen auch eine Gastronomie, bei der man vielleicht ohnehin zum Lunch einkehren möchte. Dadurch, dass wir nicht nur das Fahrrad abschließen können, sondern im Flying Office auch das abschließbare Technikfach haben, steht solchen Pausen nichts im Wege.
Welche Nutzungsszenarien empfehlt ihr?
Wir können mit dem Flying Office buchstäblich die schönsten Postkartenmotive in der Umgebung anfahren und direkt dort arbeiten. Denn mit Fahrrädern kommen wir im Gegensatz zu Autos an die wirklich schönen Spots. Mit dem Flying Office lässt sich zum Beispiel direkt ans Ufer, mitten in den Park oder bis zum Felsvorsprung mit der schönen Aussicht heranfahren. Die Deutsche Telekom etwa hält zwei Flying Offices für ihre Teams in Bonn bereit, die damit direkt in die Rheinauen fahren können, etwa 150 m von der Deutschlandzentrale entfernt. Grundsätzlich macht das Flying Office besonders Spaß, wenn es um kreative Teamarbeit geht. Durch die schnellen Auf- und Abbau-Möglichkeiten kann man sogar eine kleine Tour zu mehreren Spots während einer Session machen und sich während des Transfers einfach weiter zum Thema unterhalten. Da ist das Teambuilding über das ungewöhnliche Erlebnis dann gleich inkludiert.
Worin siehst du die Hauptvorteile von Meetings im Freien generell?
Grundsätzlich kommen dabei alle Vorteile einer klassischen Workation zum Tragen, also Inspiration und andere positive Effekte, die der Mensch in der Natur erfahren kann. Insbesondere die physischen Vorteile wie frische Luft und Bewegung während der Arbeit kommen stark zur Geltung.
Viele kennen Deskbikes. Manche strampeln sogar während Meetings auf solchen. Aber ein Meetingbike für draußen ist neu. Wie gings von der Idee zur Umsetzung?
Die Idee ist durch unsere Erfahrungen mit klassischen Workations entstanden: Wir wollten spontaner sein, weniger Planungsaufwand haben und dazu noch ein Gutes-Wetter-Abo. Die Umsetzung lief dann ziemlich hemdsärmelig über mehrere Prototypen – zunächst gezeichnet, dann gebaut und einfach ausprobiert. So sind wir zum Beispiel auf das abschließbare Fach für Technik gekommen, da wir beim ersten Prototyp immer jemanden am Fahrrad haben mussten, der die Wertsachen sichert. Die größte Erkenntnis war, dass wir von einem zunächst realisierten Dreirad auch eine Version auf Basis eines zweirädrigen Lastenrads ableiten konnten. Vorteile sind hierbei nicht nur die höhere Wendigkeit und die leichtere Handhabung – das Modell ist ein sogenanntes Longtail und fährt sich wie ein ganz normales Fahrrad. Auch den Preis konnten wir so um mehr als fünfzig Prozent reduzieren, bei nahezu gleicher Ausstattung. Und wir haben den Aufbau als Box konzipiert, die man aus dem Gepäckteil des Lastenrads einfach mit beiden Händen herausheben kann, wenn man das Fahrrad zu anderen Zwecken als zu Workations einsetzen möchte.
Hast du noch Tipps für Flying Meetings?
Wir haben während des mobilen Arbeitens gemerkt, dass sich viele Dinge, die man im Office mit dem Rechner erledigt, draußen meist besser mit dem Smartphone machen lassen: Zum Beispiel nutzen wir bei Walking Meetings regelmäßig die Speech-to-Text-Funktion unserer Handys, um Zusammenfassungen des Gesprächs oder Entscheidungen schnell schriftlich festzuhalten. Seit einiger Zeit gibt es auch die Möglichkeit, mit den üblichen KI-Chatbots via Spracheingabe zu interagieren – da können wir dann nicht nur Dinge festhalten, sondern sogar Analysen oder Vergleiche erstellen lassen. Auch hybride Meetings sind super realisierbar: Zwei Personen machen ein Walking Meeting und eine Dritte schaltet sich über das Telefon dazu.
Davon abgesehen nutzen wir für Brainstormings spezielle magnetische Notizzettel, sogenannte Flynotes, die der Wind draußen nicht wegwehen kann. Die halten dann bei jedem Wetter an unseren flexiblen Whiteboards, den Flyframes, die sich wiederum per Klettverschluss an jedem Baum oder Pfahl befestigen und wieder abziehen lassen. Das sind alles Eigenentwicklungen von uns, die mittlerweile von unserem Partner Interstuhl ins Programm genommen worden sind.
Wie und wo kann ich das Flying Office nutzen?
Aktuell lassen sich zwei Flying Offices bei uns in Berlin ausleihen. Unser Büro mit mietbaren Räumen für kreative Teamarbeit liegt an einem Grüngürtel, von dem man in wenigen Minuten an die Spree oder den Landwehrkanal fahren kann. Und direkt vor der Haustür haben wir das Engelbecken, einen historischen Park mit kleinem Teich, an dem sich auch tolle Workations mitten in der Großstadt machen lassen. Für unsere Umgebung halten wir spezielle Karten bereit, die zeigen, wo es die schönsten Spots zum Meeten, Essen und Trinken gibt. Auf eingezeichneten Laufrouten kann man dann sogar Walking Meetings unterschiedlicher Dauer ausprobieren, jeweils mit Zwischenstopp an einem kleinen Café oder einer anderen Restauration. Wir suchen aktuell noch nach neuen Standorten für das Flying Office jenseits von Berlin. Mit der Deutschen Telekom in Bonn und der Technischen Hochschule in Nürnberg gibt es zwar mittlerweile insgesamt vier/fünf Flying Offices in Deutschland, aber wir fänden es spannend, wenn mal ein Betreiber eines Tagungshotels beziehungsweise Coworking Spaces in naturnaher Lage Lust darauf hätte, seinen Gästen ein Flying Office als Erweiterung der Indoor-Meeting-Möglichkeiten anzubieten.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.