Welchen Einfluss hat eine schlechte Raumakustik auf die im Büro Tätigen? Im Rahmen der Fachmesse Acoustex 2019 sprachen wir darüber mit dem Psychoakustiker Benjamin Müller vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart.
OFFICE ROXX: Herr Müller, warum ist die Raumakustik in Büroumgebungen ein so wichtiges Thema?
Benjamin Müller: Das Thema ist heute aktueller denn je. Immer mehr Deutsche arbeiten im Büro (derzeit etwa 17 Millionen) und verbringen dort einen großen Teil ihrer Lebenszeit. Laut einer Befragung unseres Instituts von 2011 zur Wichtigkeit von Raumparametern für Mitarbeitende in Büros, nimmt die Akustik den ersten Platz ein. Über 20 Prozent aller Beschäftigten in Büros fühlen sich durch Lärm im Büro außerdem häufig oder sehr häufig gestört (BSO-Studie, 2015).
Der „leise Lärm“ ist eine der Ursachen für die zunehmenden psychischen Belastungen im Büro, denn unser Gehör lässt sich nicht „abschalten“. Geräusche werden vom Gehirn (sogar im Schlaf) automatisch erkannt und verarbeitet. Denn evolutionär bedingt ist das Gehör unser Alarmorgan und damit immer wachsam.
Wie hat sich das Thema „Lärm im Büro“ in den letzten Jahren entwickelt?
Aktuell finden in vielen Unternehmen in Deutschland Umstrukturierungen statt. Die neuen Büros sind meist größer und offener. Kleinere Büros, welche in Bezug auf Störung durch Lärm selten Probleme mit sich brachten, werden aus Gründen der Flächeneffizienz zunehmend abgeschafft. Aufgrund des steigenden Bedarfs an Lösungen für Open-Space-Offices drängen immer mehr Hersteller von Akustikprodukten auf den Markt. Unserer Erfahrung nach bringen nicht alle Produkte die versprochene Wirkung. Außerdem müssen die Lösungen sinnvoll eingesetzt werden, um wirksam zu sein.
Welche Rolle spielt die moderne Büro-Architektur dabei?
Moderne Büro-Architektur kann ein Auslöser für Lärm im Büro sein. Die offenen Bürozonen, oft mit schallharten Glaselementen und betonkernaktivierten Decken, bringen viele Herausforderungen mit sich. Gute Planung unter besonderer Berücksichtigung der Akustik durch Experten ist das A und O. Es können durchaus akustisch gute Flächen gestaltet werden, wenn die Planung gewissenhaft durchgeführt wird. Neben der akustischen Planung ist es auch wichtig, die Arbeitsweise und -tätigkeit sowie die Arbeitsorganisation zu berücksichtigen, wenn Büroflächen neu gestaltet werden.
Oftmals steckt hinter neuen, offenen Bürokonzepten die Idee, dass eine stärkere Kollaboration und schnellere Absprache zwischen den Mitarbeitenden durch räumliche Nähe ermöglicht wird. Eine Harvard-Studie von 2018 hat aber gezeigt: Die Kommunikation nach einem Umzug der Mitarbeitenden von kleinen Büros in eine offene Bürofläche entwickelt sich anders als gedacht. Direkte Gespräche mit Kollegen reduzieren sich um 70 Prozent, die Kommunikation via E-Mail steigert sich um 56 Prozent, die Kommunikation über elektronische Sofortnachrichten sogar um 67 Prozent. Auslöser dafür ist nach Studien des Fraunhofer IBP die sinkende Privatheit und eine höhere Sprachverständlichkeit. Mitarbeitende wollen ihre Kollegen nicht stören und verringern persönliche Absprachen im Büro.
Kann Lärm am Arbeitsplatz krank machen?
Verschiedenste Studien seit 1976 zeigen negative Einflüsse von verständlicher Sprache auf kognitive Prozesse. In mehreren Probandenstudien wurde der Effekt außerdem explizit bei Büro-Hintergrundgeräuschen nachgewiesen. Der Sprachpegel ist dabei – sofern die Sprache verständlich ist – kaum relevant, sondern vorrangig die Sprachverständlichkeit. Zwischen Sprachschall in Muttersprache und Fremdsprache gibt es übrigens interessanterweise keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf den Abfall der kognitiven Leistungsfähigkeit. In einer schweizerischen Befragung (SBiB-Studie, 2010) gaben Beschäftigte an, dass sie in größeren Büroformen signifikant öfter und länger durch Telefonate sowie Gespräche anderer im Raum gestört werden. Nach einer Studie von Bodin Danielsson et al. (2014) steigt sogar der Anteil der selbstberichteten Kurzzeiterkrankungen signifikant, wenn größere Büroformen mit Zellen- oder Teambüros verglichen werden.
Mit stetiger Maximierung der Flächeneffizienz ist also ein lärm- und stressbedingter Verlust an Arbeitsleistung verbunden. Somit entstehen für den Arbeitgeber Kosten, da die Produktivität der Mitarbeitenden verringert wird. Dieser Faktor wird bei der Bilanzierung der gesparten Kosten durch größere Büros meist nicht betrachtet.
Ab wann werden Geräusche als störend wahrgenommen?
Dies ist stark abhängig von der Geräuschart. Ein Summenpegel alleine lässt keine Aussagen über die zu erwartende Störung zu. Beispielsweise kommt es darauf an, ob das Geräusch besonders hochfrequent, tonhaltig oder fluktuierend ist. Aus Studien weiß man, dass das vegetative Nervensystem des Menschen ab einem Geräuschpegel von 60 dB(A) – das entspricht einer Unterhaltung – negativ beeinflusst wird. Besonders sprachlicher Störschall hat negative Auswirkungen. Er führt schon ab einem Pegel von 35 dB(A) – das entspricht einem Flüstern oder dem Ticken einer Uhr – zu Leistungseinbußen des Arbeitsgedächtnisses.
In Büros kommt zudem der sogenannte Lombard-Effekt zum Tragen: Er beschreibt die Anpassung des Sprachpegels an die akustischen Bedingungen der Umgebung. Dies führt zu einem immer weiteren Aufschaukeln des Pegels im Büro, desto mehr sprechende Personen anwesend sind.
Welche Anforderungen gibt es an die Akustik von Büroräumen?
Die akustische Qualität von Büroräumen wird international anhand der DIN EN ISO 3382-3 (Akustik – Messung von Parametern der Raumakustik – Teil 3: Großraumbüros) gemessen. Bezüglich der Einordnung der Messergebnisse in Qualitätsstufen gibt es je nach Land unterschiedliche Anforderungen. Bei uns in Deutschland kann zur Beurteilung der akustischen Qualität von Räumen die DIN 18041 (Hörsamkeit in Räumen) verwendet werden, welche jedoch nicht spezifisch Büros betrachtet, sondern viele Räume des alltäglichen Lebens.
Speziell auf die akustischen Bedingungen in Büros ist die VDI-Richtlinie 2569 ausgerichtet, welche 2016 als Entwurf veröffentlicht wurde. Mit dieser lässt sich die akustische Qualität eines Büroraums anhand von Messungen an mehreren Arbeitsplätzen im Büro nach den Vorgaben der DIN EN ISO 3382-3 in die Klassen A, B und C einordnen. Für die Bewertung der Qualität von Mehrpersonenbüros sind die räumliche Abklingrate von Sprache D2,S und der A-bewertete Schalldruckpegel von Sprache in vier Meter Entfernung LP,A,S,4m sowie die Nachhallzeit T und der Grundgeräuschpegel LNA,Bau relevant.
Zusätzlich wurde 2018 die ASR A3.7 „Lärm“ (Richtlinie des Ausschusses der Arbeitsstätten) veröffentlicht, welche ebenfalls Vorgaben zur raumakustischen Ausstattung von Büros macht. Die Vorgaben richten sich jedoch nur an die Nachhallzeit im Raum und berücksichtigen nicht andere Parameter der DIN EN ISO 3382-3.
Reichen die Normen aus, um ein ungestörtes Arbeiten im Büro zu ermöglichen?
Die Normen und Anforderungen gewährleisten eine Mindestqualität von Büroflächen. Messgrößen, von denen wir wissen, dass sie mit der subjektiven Wahrnehmung und der zu erwartenden Leistungsfähigkeit im Büro korrelieren, finden in den Normen jedoch aktuell zu selten Verwendung. Beispielsweise legen wir in unseren Planungen Büroräume zusätzlich zu den typischen Parametern anhand des Sprachverständlichkeitsindex (STI) aus, welcher ein guter Prädiktor für den zu erwartenden Leistungsabfall durch verständliche Sprache ist.
Wie leise ist der optimale Arbeitsplatz Ihrer Meinung nach?
Aus Sicht der bestmöglichen Reduzierung akustischer Störungen wäre der optimale Arbeitsplatz ein leises Einzelbüro. Dies ist jedoch in den seltensten Fällen möglich. Ein Arbeitsplatz in größeren Büroformen sollte immer optimal an die Tätigkeit angepasst sein und gleichermaßen Kollaboration und Konzentration (zum Beispiel durch Zonen, verschiedene Arbeitsbereiche) erlauben. In größeren Büroformen kann ein etwas lauterer Arbeitsplatz (beispielsweise durch eine etwas lautere Lüftung) sogar besser als ein leiser Arbeitsplatz sein, da dann Gespräche von Kollegen weniger gut verstanden werden. Das Phänomen nennt sich Maskierung und beschreibt die „Verdeckung“ von Sprache durch ein informationsloses Hintergrundgeräusch (zum Beispiel Rauschen). Aus der Industriearbeit gilt jedoch auch in Büros das Gebot der Pegelreduktion, welches in den heute für Büros geltenden Normen immer noch verankert ist. Für die Arbeit im Büro ist das nicht zielführend, hier sollte die Sprachverständlichkeit als entscheidender Faktor herangezogen werden.
Welche Faktoren beeinflussen die Akustik in Büroimmobilien?
Bei der akustischen Planung von Büroimmobilien sind immer drei entscheidende Einflussfaktoren zu betrachten, welche optimal umgesetzt werden müssen: das Hintergrundgeräusch (zum Beispiel durch Lüftung oder elektroakustische Maßnahmen), die Absorption (zum Beispiel durch eine Akustikdecke) und die sich daraus ergebende Nachhallzeit sowie Schirmung/Schalldämmung (zum Beispiel durch Stellwände). Außerdem wird heute auch oft das Thema Soundscape betrachtet, also die „Klanglandschaft“ im Raum.
Mit welchen Maßnahmen können Planer, Architekten und Unternehmen die Raumakustik in Büros optimieren?
Für eine optimale Akustik ist gute Planung durch Experten unerlässlich. Dabei wird beispielsweise auf möglichst hohe Schirmung und Absorption zwischen den Mitarbeitenden geachtet. Die Nachhallzeit wird durch absorbierende Materialien so beeinflusst, dass sie möglichst niedrig und im Frequenzgang linear ist. Außerdem wird das Grundgeräusch so eingestellt, dass es nicht zu leise und nicht zu laut sowie breitbandig und nicht fluktuierend im zeitlichen Verlauf ist.
Oftmals bietet sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit (zum Beispiel Klima, Akustik, Licht) bei der Planung an. Beispielsweise wäre eine geringfügig lautere Lüftungsanlage aus akustischer Sicht besser – nebenbei spart sie auch noch Geld durch verbesserte Energieeffizienz. Es sollte außerdem nicht nur flächenwirtschaftlich gedacht werden, sondern es müssen auch immer die Kosten durch verminderte Produktivität der Beschäftigten berücksichtigt werden. Dies ist ebenfalls ein Thema, an dem wir aktuell forschen. Eine Lösung könnten langfristig personalisierte akustische Umgebungen sein, deren Einsatz in vielerlei Kontexten denkbar und Gegenstand unserer Forschungen ist. Außerdem sollten Arbeitgeber das Home-Office und Activity Based Working für besonders konzentrationsintensive Arbeit anbieten.
Gibt es aktuell besonders spannende Entwicklungen, neue Produkte oder Trends im Bereich der Büroakustik?
Ein spannender Trend ist momentan die Erweiterung raumakustischer Maßnahmen durch elektroakustische Lösungen. Beispielsweise sind Active-Noise-Cancelling-Kopfhörer im Büro immer öfter im Einsatz. Zur Wirksamkeit gibt es aktuell allerdings noch kaum Studien, weshalb wir in diesem Bereich selbst forschen. Ein anderer spannender Trend sind sprachmaskierende Maßnahmen, die auch in Deutschland immer öfter zum Einsatz kommen. Hier sind vor kurzem beispielsweise neue, maskierende Trennwände zwischen Arbeitsplätzen auf den Markt gekommen. Außerdem gibt es immer mehr Hersteller, die Maskierung über in die Decke eingebaute Lautsprecher auch auf dem deutschen Markt anbieten. Dabei geht es neuerdings nicht mehr nur um Maskierung mit Rauschen, sondern um die Schaffung angenehmer Soundscapes, also „Klanglandschaften“.
Ihr Vortrag auf der Acoustex, die am 1. und 2. Oktober in Dortmund stattfindet, verspricht Ansätze gegen „leisen Lärm“ aus der angewandten Forschung. Was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung?
In unserer Forschung setzen wir meist auf die Kombination zwischen bauphysikalischen und psychologischen Messungen sowie Befragungen. Diese Methodik lässt beispielsweise Rückschlüsse zu, ob und wie sich raum- sowie elektroakustische Maßnahmen auf das Empfinden von Mitarbeitenden sowie auf ihre kognitive Leistungsfähigkeit auswirken. In unserem Institut betrachten wir jedoch nicht nur die akustischen Auswirkungen, sondern wir untersuchen auch andere (bauphysikalische) Einflussfaktoren wie beispielsweise Raumklima, Licht und Biophilic-Design. In unserem einzigartigen Versuchslabor der „High Performance Indoor Environment“ haben wir zudem die Möglichkeit, multimodale Studien durchzuführen, also Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren zu untersuchen.
Was können Büroplaner, Architekten und Unternehmen an Wissen und Erfahrung von der Messe Acoustex mit ins heimische Büro nehmen?
Die Messe wird sicher viele Planungshilfen und Best Practices bieten, um die Büros der Zukunft menschzentrierter gestalten zu können. Diese menschzentrierte Gestaltung ist aus unserer Sicht hochrelevant, um Gesundheit, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden in Büroräumen gewährleisten zu können.
Haben Sie abschließend noch einige Tipps, von denen „Büroinsassen“ schnell profitieren können?
Wichtig sind „Büroregeln“ wie das Führen längerer Telefonate in gesonderten Zonen oder Telefonzellen sowie die Verlagerung privater Gespräche in die kollaborativen Bereiche. Aus akustischer Sicht kann das Aufstellen von hochabsorbierenden Schirmelementen zwischen Arbeitsplätzen helfen. Auch die Wiedergabe von Meeresrauschen über Active-Noise-Cancelling-Kopfhörer kann dazu beitragen, störende Geräusche zu maskieren. Auf der Website unserer Initiative für gesunde, leistungsfördernde Büros www.buero-initiative.de können Mitarbeitende noch viele weitere Tipps finden, um in Büros ungestörter, besser und gesünder arbeiten zu können.
Benjamin Johannes Müller ist Psychoakustiker am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. In der Gruppe „Psychoakustik und kognitive Ergonomie“ forscht er zur Wirkungsweise raumphysikalischer Umgebungsfaktoren und Soundscapes auf den Menschen. Ein besonderer Fokus seiner Forschungsarbeit liegt auf der Thematik „Büroarbeit“ und der damit verbundenen Raumgestaltung. |
Näheres zum Thema Raumakustik finden sie auch auf akustikaktion.de.