Tillmann Strohbach coacht Unternehmen in Sachen Agilität. Dabei hilft ihm seine langjährige Vertriebserfahrung im Bereich IT-Lösungen. In seiner Kolumne über agiles Arbeiten geht es diesmal um Design Thinking.
Ich gehe wieder von mir selber aus. Ohne Raum, was für mich auch zeitlichen Raum beinhaltet, ist für mich Kreativität nicht denkbar. Wie aber soll man sich entwickeln, wenn man nicht mehr kreativ sein kann? Wie sollen neue Ideen entstehen, wenn man sich jeden Tag nur noch mit der Bewältigung bestehender und immer wiederkehrender Aufgaben beschäftigt? Wo sollen sich Organisationen entwickeln, wenn sie nicht den Raum dafür organisieren, ihre Mitarbeiter auch immer wieder aktiv dazu auffordern, dass sie sich Zeit nehmen sollen? Wie wollen Firmen wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich ausschließlich mit ihren eigenen Aufgaben, Sorgen und Problemen beschäftigen, sprich: sich nur um sich selbst drehen, nicht aber aktiv mit ihrem wichtigsten Kapital, den Mitarbeitern, schauen, was man in der Zukunft gestalten, neu entwickeln und schlussendlich Kunden anbieten will?
Auch hier bedarf es in sehr vielen Organisationen eines Kulturwandels! Wer seine Mitarbeiter nach wie vor wie Fließbandarbeiter behandelt, wer Zweifel unterdrückt und keinerlei transparente Fehlerkultur pflegt, wird es jeden Tag schwerer haben, seine Firma weiter zu entwickeln. Und seine besten Mitarbeiter zu halten!
Die Grundidee von Design Thinking
Um nun Kreativität wirklich aktiv in einer Organisation zu fördern und auch immer wieder zu fordern, gibt es unterschiedliche Methoden. Eine davon nennt sich Design Thinking. „Design Thinking basiert auf der Annahme, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen und dann Konzepte entwickeln, die mehrfach geprüft werden.“ So wird die Ausgangsidee des Design Thinking in der Wikipedia beschrieben.
Neue Gedanken durch neue Umgebung
Wie habe ich diese Methode erlebt und kennengelernt? Es ging darum, etwas Neues zu entwickeln. In dem Fall, in dem ich dabei war, wurden zwei Gruppen gebildet. Die eine Gruppe sollte das Vorhandene neu bewerten und weiterentwickeln. Die zweite Gruppe hatte die Aufgabe, etwas komplett Neues zu erfinden und Wege der Entwicklung aufzuzeigen.
Wichtig fand ich in beiden Fällen, dass man vorab die Menschen aus ihrem Alltag, ihrer gewohnten Umgebung herausgenommen hat. Somit wurde dafür gesorgt, dass bestehende Muster nicht erneut Verwendung finden. Dann wurden alle erst einmal dazu aufgefordert, sich mit sehr ‚arbeitsfernen‘ Dingen zu beschäftigen. Die einen haben mit Lego etwas gebaut, sprich gespielt. Die anderen sollten ein gemeinsames Essen planen, dafür einkaufen und es dann anrichten.
Aufgaben gemeinsam lösen
Das hat dazu geführt, dass Menschen sich sehr konzentriert mit etwas sehr Banalem, aber doch Angenehmen beschäftigten. Trotz der vermeintlichen Banalität wurde die Konzentration des Einzelnen sehr gefordert. In beiden Fällen wurden aber auch die Zusammenarbeit gefördert und so soziale Kompetenzen freigelegt und gefördert.
Somit haben die Teilnehmer auf recht einfache Art und Weise ihre Köpfe frei von den Gedanken, Aufgaben und Problemen des Alltags bekommen und zusätzlich noch etwas für die Entwicklung der Zusammenarbeit getan. Soziale Kontakte in einer Gruppe können sehr wesentlich dazu beitragen, erfolgreich zu sein.
Alle 30 Minuten ein Ergebnis
Dann wurden beide Gruppen zu ihren Aufgaben gelassen. Die Regel war: Zeigt alle halbe Stunde ein Ergebnis. Egal, was für eins! Hauptsache, es gab eine wesentliche Veränderung und es wurden ein Test und ein Weg dokumentiert, wie zu diesem Ergebnis gekommen worden war.
Die Ergebnisse wurden der jeweils anderen Gruppe vorgestellt. Diese hatte die Aufgabe, Fehler, die sie aus ihrer Sicht sahen, transparent zu machen. Wichtig war hierbei die Regel, dass man nur über die Sache reden durfte, nicht aber über Personen. Wie man also vermuten kann: Ja, diese Runden bzw. Sessions wurden moderiert.
Jedes Team hat fünf Sessions bekommen, um jeweils ein Ergebnis zu zeigen und bewerten zu lassen. Mit den Ergebnissen des Reviews sind sie dann in die jeweils nächste Session der Entwicklung gegangen. Hier durften sie entweder wieder etwas Neues entwickeln oder aber das Vorhandene weiterentwickeln. Die Entscheidung hat das jeweilige Team demokratisch getroffen.
Weg zu neuen Visionen
Nach den fünf Sessions wurden wieder die Ergebnisse vorgestellt. Dann gab es das gemeinsame Essen. Dafür wurde sich anderthalb Stunden Zeit genommen, und alle waren aufgefordert, sich nach dem Essen draußen durch Spazierengehen oder Laufen zu bewegen. Dann trafen sich alle wieder, und jedes Team bekam eine letzte halbe Stunde, um gemeinsam eine der Ideen weiterzuentwickeln – oder alles doch noch einmal zu verwerfen.
Nach einer finalen Vorstellung und Bewertung, diesmal durch alle Beteiligten in den jeweiligen Teams, wurde ein Backlog erstellt. So hat man eine gemeinsame Vision erarbeitet und darüber abgestimmt, ob und wie man die Ergebnisse der Sessions weiterverfolgt und was von wem dafür zu tun ist. Diese Sessions wurden einmal im Quartal organisiert. Das Ergebnis war nicht immer ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung. Das Ergebnis waren aber immer eine Vision und Menschen, die sich mit ihrer Organisation gemeinsam weiterentwickeln wollen.
Tillmann Strohbach,
Agile Coach. agile-process.de |