Dr. Christoph Quarch und Prof. Jan Teunen beschreiben in ihrem neuen Buch die Schönheit der Natur, der Gemeinschaft, des Teilens und der Räume. Prof. Jan Teunen erläutert im Interview die Bedeutung der Schönheit für das Büro und die damit einhergehende Verantwortung aller Beteiligten.
OFFICE ROXX: Herr Prof. Teunen, Ihr neues Buch ist der Rettung unserer Welt gewidmet. Inwiefern ist das das Grundanliegen von „Schönheit“?
Prof. Jan Teunen: Schönheit lässt die Dopamin-Achse im menschlichen Gehirn sprudeln. Dopamin, auch Glückshormon genannt, motiviert und weckt die Unternehmenslust. Es hat große Auswirkung auf die Stimmung und das Wohlbefinden des Menschen. Schönheit im Umfeld des Menschen, zum Beispiel im Büro, macht den Arbeitsraum zu einer Art von Dopamin-Maschine. Sie verleiht Menschen Kraft und stimuliert die Potenzialentfaltung. Dopamin hat das Zeug dazu, die Gallup-Zahlen umzudrehen und somit horrende Reibungsverluste, die durch fehlende Antriebskraft entstehen, erheblich zu reduzieren. Schönheit ist eine verantwortungsvolle Antwort auf die Krisen der Gegenwart. Sie wird die Welt schonend in die Zukunft führen.
Schönheit im Umfeld des Menschen, zum Beispiel im Büro, macht den Arbeitsraum zu einer Art von Dopamin-Maschine.“
Prof. Jan Teunen
Die Schönheit liege im Auge des Betrachters, heißt es. Wie definieren Sie Schönheit?
Sie zitieren hier den englischen Philosophen David Hume (1711–1776). Der Satz „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ stammt aus seinem Essay „Of the Standard of Taste“. Ob das wirklich so ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Meine Tante soll ihren Kaffee ruhig weiter aus den potthässlichen Kaffeetassen trinken, die sie so schön findet. Für mich ist Schönheit dasjenige, was uns lebendig sein lässt. Besonders lebendig ist meine Tante übrigens nicht und ich führe das auf die Mittelmäßigkeit zurück, mit der sie sich bereits ein Leben lang umgibt.
Welcher Denker hat das Schöne für Sie am besten in Worte gefasst?
Schönheit hat mit Emotionen zu tun und die waren bereits lange da, bevor Menschen die Sprache entwickelt haben. Wahrscheinlich haben wir noch nicht genügend Worte, um das Phänomen Schönheit adäquat zu beschreiben. Mein Landsmann, der Humanist Erasmus von Rotterdam, kommt aber der Sache sehr nahe mit seinem „Schönheit ist das Wetterleuchten der Wahrheit.“ Er hat auch bereits im 16. Jahrhundert den Boden für Frithjof Bergmanns New-Work-Theorie im 20. Jahrhundert bereitet – mit den diesen weisen Gedanken: „Die Talente begabter Menschen sind unterschiedlich, und jede Zeit hat ihren eigenen Charakter. Lasst jeden zeigen, wozu er fähig ist, und lasst niemanden neidisch auf einen anderen sein, der auf seine Art, im Maße seiner Kräfte an der allgemeinen Lehre versucht beizutragen.“ Ich finde es übrigens sehr schade, dass Bergmanns Theorie heute dort, wo von New Work die Rede ist, so oft falsch interpretiert wird.
Was ist für Sie schön? Können Sie uns Beispiele nennen?
Ich beschränke mich auf ein Beispiel – auf den Stuhl. Wenn man auf einem Stuhl gut sitzt, dann ist das noch lange kein schöner Stuhl. Wir Menschen haben nicht nur Sitzfleisch, sondern auch einen Sitzgeist. Der Sitzgeist, wenn er wissend und bewusst ist, verlangt von einem schönen Stuhl, dass die Idee des Stuhles eine schöne ist, dass der Naturstoff, aus dem er gemacht wurde, schön zum Kulturstoff verwandelt wird, das heißt auch die Produktion soll schonend erfolgen. Natürlich müssen die Konstruktion und die Materialien schön sein, und das Gleiche gilt für Proportionen, Farben, Texturen, bis hin zur Schönheit des Handelns und der Logistik. Last but not least müssen am Ende des Stuhllebens die Komponenten, aus denen der Stuhl besteht, ohne Verlust in den Materialkreislauf zurückgeführt werden können. Wenn dies alles stimmt, ist Schönheit integraler Bestandteil des Stuhls, ist der Stuhl ein schöner Stuhl.
Wie ist die Idee zu Ihrem Buch entstanden?
Für meinen Kunden, den Immobilienentwickler und Investor Sebastian Schels sowie seine Firma Ratisbona, habe ich ein Buch initiiert, co-konzipiert und kuratiert, um seine Arbeitsgemeinschaft spielerisch und nicht belehrend für das Thema Nachhaltigkeit zu begeistern. Es hat den Titel „Als ich mich auf den Weg machte, die Erde zu retten.“ Geschrieben wurde es von Martin Häusler und herausgegeben von Dr. Eckart von Hirschhausen. Während der intensiven Arbeit an diesem Projekt haben meine Frau und ich uns gefragt, was rettet denn eigentlich noch unsere Welt? Die Antwort kam dann von Dostojewski. Sie steht in seinem Roman „Der Idiot“ und lautet: Beauty will save the world. Meine Frau und ich haben dann beschlossen – als eine Art von Vermächtnis – DAS Buch zu diesem Thema zu machen. Im Mai 2024 hat es das Licht der Welt erblickt und noch in diesem Jahr wird es vergriffen sein. Das Thema findet großes Interesse.
Das traditionelle Büro mit seinen weißen Wänden, grauen Teppichen und schwarzen Stühlen birgt nicht viel Schönes. In den letzten Jahren hat sich hier aber durchaus etwas getan. Wie ist Ihre Einschätzung?
Es ist schön und stimmt hoffnungsvoll, dass das Thema Arbeitgeberattraktivität immer mehr in den Fokus rückt und somit auch das Wohlsein der Menschen in den Büros. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Prägung des Arbeitsumfeldes durch die wirtschaftliche Rationalität Menschen neurotisch macht, weil die kulturelle Umgebung nicht antwortet. Menschen sind vierdimensionale Wesen. Sie haben einen Körper und der braucht unter anderem stimmige, physische Ergonomie. Menschen haben ein Ich und dieses Ich wünscht sich Geborgenheit und Freiheit. Menschen haben auch einen Geist und dieser verlangt Sinn und Sinnstiftung. Und wir haben eine Seele und die Seele will genährt sein, und die Nahrung der Seele ist die Schönheit. Leider ist es nach wie vor so, dass in vielen Büros die vier Dimensionen des Menschen noch nicht vollumfänglich adressiert werden. Das liegt meines Erachtens in der Regel an der informierten Unwissenheit von Entscheidern und an der Tatsache, dass viele von ihnen ausgehungerte Seelen haben. Hier passt nun ein wunderbares Zitat des Neoplatonikers Plotin (206–270): „Das Auge hätte ja nie die Sonne gesehen, wenn es nicht von der Art und Form der Sonne wäre, und die Seele kann das Schöne nicht sehen, wenn sie selber nicht schön geworden ist.“
Der Mensch sehnt sich nach Geborgenheit, und das Firmenbüro könnte dafür durchaus ein schöner Ort sein.“
Prof. Jan Teunen
Nachdem das Büro von heute schon viel Haptisches verloren hat, steht es längst selbst zur Disposition. Was ginge mit diesen Arbeitsräumen verloren?
Durch das wunderbare Geschenk der Digitalisierung können Menschen heute nahezu überall arbeiten. Das zahlt ein auf die zweite Dimension – auf ihr Bedürfnis nach Freiheit. Gleichzeitig sehnt sich der Mensch nach Geborgenheit, und das Firmenbüro könnte dafür durchaus ein schöner Ort sein. Die Digitalisierung hat zur Folge, dass nahezu alle Routinearbeiten in Zukunft von intelligenten Maschinen erledigt werden. Auch das ist ein Geschenk. Was für uns Menschen an Arbeit bleibt, ist die gewollte Co-Kreation. Diese braucht Begegnung und Nähe, und weil dies so ist, wird das Firmenbüro nie sterben und das Homeoffice muss eine Ausnahme bleiben.
BUCHTIPP:
Christoph Quarch, Jan Teunen: Schönheit rettet die Welt, Dreizeichen Verlag, 376 S., 70,00 €. Abbildung: Fuenfwerken Design AG
Worin besteht die Schönheit des Arbeitens?
Arbeit ist schön, wenn sie nicht als irgendein Job gesehen wird, mit dem man seine emotionalen und physischen Bedürfnisse befriedigt, im Idealfall Anerkennung aus dem Umfeld bekommt und eine externe Belohnung, das Gehalt am Monatsende. Die Schönheit der Arbeit beginnt, wenn sie nicht ein Job ist, sondern auch eine Mission. Eine Mission, bei der der Mensch auch seine spirituellen und mentalen Bedürfnisse befriedigt, indem er dient, Bedeutung kreiert und einen Unterschied macht. Menschen mit einer Mission bekommen nicht nur eine externe Belohnung, sondern auch eine interne, weil das, was sie tun, in der Regel Sinn macht.
Eine Büroeinrichtung ist ein kulturelles Phänomen, und kulturelle Phänomene bedürfen der Information, um verstanden zu werden.“
Prof. Jan Teunen
Welche Verantwortung haben in diesem Zusammenhang Möbelproduzenten, Fachhändler, Architekten und Planer?
Vorausgesetzt, die Schönheit ist integraler Bestandteil des Produktes, das sie abliefern, ist es ihre Verantwortung, für das Gegenüber diese Schönheit auch sichtbar zu machen. Eine Büroeinrichtung ist ein kulturelles Phänomen und kulturelle Phänomene bedürfen der Information, um verstanden zu werden. Schön wäre es, wenn es gelingt, bei den Nutzern ein Bewusstsein für Qualität herbeizuführen, dafür zu sorgen, dass sie unterscheiden können und deswegen schöne Produkte bedeutsam finden, sie sich aneignen und begreifen, weil sie sich mit Hilfe der genannten Fachleute eine Hierarchie der Unterscheidungskriterien erarbeitet haben.
Welche Verantwortung tragen hier Unternehmen und Bürobeschäftigte selbst?
Bei einem Kongress im Berliner Adlon hat dm-Drogeriemarkt-Gründer Götz Werner auf diese Frage eine wunderbare Antwort gegeben, indem er sagte: „Ich kann meine Mitarbeiter nicht motivieren, das müssen sie schon selbst tun. Aber als Unternehmer habe ich die Pflicht, Umstände zu schaffen, damit sie sich selbst motivieren können.“ Im anschließenden Dialog mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther habe ich ihn gefragt, was dies aus seiner Sicht für Umstände seien, die es Menschen ermöglichen, sich selbst zu motivieren. Gerald Hüther hat geantwortet: „Motivationstreiber Nummer eins ist die Schönheit der Umgebung des Menschen, Motivationstreiber Nummer zwei die Schönheit im Umgang miteinander. Und der Umgang wird maßgeblich vom Umfeld beeinflusst.“ So viel zum Thema „Schönheit rettet die Welt“.
Vielen Dank.
Die Fragen stellten Aavin Ahmad und Robert Nehring.