In dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt. Eingangs thematisieren renommierte Architekten die neuen Herausforderungen der modernen Büroarbeitswelt. Peter Ippolito ist mit diesem Beitrag dabei.
Tatsache ist: Unsere Idee von Arbeit verändert sich in rasantem Tempo. Wie werden wir zukünftig arbeiten? Eine Frage, die viele Aspekte berührt und zahlreiche Themen aufwirft: Die Vorstellungen einer jungen Generation hinsichtlich der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, die Suche nach Sinnhaftigkeit, die Freiheit bezüglich des Arbeitsortes sowie die Neudefinition dessen, was heute eigentlich als Arbeit gilt. Die aktuellen Veränderungen sind enorm und machen sich sowohl in großen Konzepten als auch in kleinen Details bemerkbar. Als Gestaltende haben wir die Aufgabe, Menschen einzuladen, diese Transformation mitzudenken und den Wandel wertschöpfend zu erleben. Denn der Wandel ist die einzige Konstante: In einem sich schnell verändernden Kontext einer volatilen Welt liegt es in der Natur der Sache, dass der Tag des Handovers einer neuen Bürofläche den ersten Tag für deren Weiterentwicklung markiert. Wir müssen also Veränderbarkeit in unsere Arbeit einplanen, ohne hundertprozentig zu wissen, wie sie konkret aussehen wird. Für uns bedeutet dies, Räume zu konzipieren, in denen sich permanent verhandeln lässt, wie wir heute und in Zukunft zusammenarbeiten. Dabei wird immer deutlicher: Wir gestalten zwar noch Formen, Produkte und Räume, aber die eigentliche Aufgabe liegt in den dort entstehenden Beziehungen und Möglichkeiten!
Leben + Arbeit = Dazwischen
Leben und damit auch Arbeit passiert zwischen den Dingen. Es ist unser Ziel zu verstehen, wie Menschen miteinander leben, wie sie wohnen, arbeiten und Erfahrungen sammeln oder sozial interagieren. Wir üben als Gestaltende immer eine Art Spiegelbildfunktion aus, indem wir Teil der Gesellschaft sind und gleichzeitig neue Rahmenbedingungen für sie schaffen – damit tragen wir aktiv dazu bei, sie zu formen und zu prägen. Wir müssen begreifen, was Menschen bewegt, um eine nachhaltige und wertvolle Gestaltung zu generieren. Die Frage nach dem Mehrwert des physischen Ortes muss im Kontext Arbeit immer wieder neu verhandelt werden. Warum gehen Menschen überhaupt ins Büro? Die Antwort ist einfach und doch komplex: Weil sie wollen, nicht weil sie müssen. Nicht, weil der Schreibtisch ästhetisch oder die Besprechungsinsel besonders einladend gestaltet ist, sondern weil sich Menschen dort begegnen! Weil sie in Beziehung treten und Zwischenräume nutzen, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, um in geplanten oder ungeplanten Gesprächen gemeinsam Innovationen voranzutreiben, um die kreative Reibung zu nutzen, um Altes zu hinterfragen und Neues entstehen zu lassen. Die Erfolgsgeschichte der beiden Medizin-Nobelpreisträger von 2023 begann bei einem zufälligen Treffen am Kopierer … Wir gehen zum einen ins Büro wegen der nur dort vorhandenen Werkzeuge und Technologien und zum anderen, um Zusammenhalt und Wertschätzung zu erfahren und die Energie des Miteinanders zu spüren. Es geht also darum, das Büro als Möglichkeitsraum zu betrachten und diese spannenden Schnittstellen – das Dazwischen – zu gestalten. Diese Freiräume können eine unglaubliche Energie freisetzen. Es sind die Zwischenräume, die das meiste Potenzial haben, Neues zu schaffen – denn Innovation findet immer in Grenzbereichen statt.
Raum folgt Nutzer
Um zukunftsfähige Arbeitswelten zu Beziehungslandschaften auszubauen, brauchen wir Orte mit offenen Nutzungskonzepten: Räume, die eine hybride Vielfalt zulassen und sich mit wandelnden Anforderungen und Bedürfnissen weiterentwickeln können. Räume, die dazu einladen, fortgeschrieben zu werden. Wir brauchen Typologien, die nicht eindeutig zuzuordnen sind, weil sie viele Bestimmungen haben können und den Spagat zwischen Persönlichkeit und Anpassungsfähigkeit, zwischen Identität und Agilität schaffen. Damit Unternehmen und Mitarbeitende beweglich bleiben können, müssen wir Flächen, Ausstattungen und Möbel entwickeln, die mit starkem Charakter Kontext schaffen und sich leicht verändern sowie individuell adaptieren lassen. Während die Nutzer bisher dem Raum folgten, findet nun ein Paradigmenwechsel statt: Räume verändern sich mit ihren Nutzern und Nutzungen.
Begegnungen + Beziehungen = Arbeit
In Zeiten, in denen von nahezu überall gearbeitet werden kann, gewinnen interessante Begegnungen sowie gemeinschaftliche Erfahrungen an Bedeutung und machen die Nutzung physischer Räume unverzichtbar. Das Büro wird zum Ort, an dem die Sinn- und Wertelandschaft eines Unternehmens zusammen mit den Kollegen erfahrbar wird. Ein Ort, der Orientierung gibt, Zugehörigkeit, Verbundenheit und Nähe schafft sowie zwischenmenschliche Anlässe bietet, dort gern zu sein. Die traditionellen typologischen Grenzziehungen zwischen Residential, Hospitality und Arbeit entfallen zugunsten von sorgfältigen, oft fließenden Zonierungen innerhalb eines starken Rahmens. Statt „Work“ und „Life“ krampfhaft auszubalancieren, ermöglicht ein harmonisches Ineinandergreifen von Berufs- und Privatleben – das Work-Life-Blending –, flexibel auf Gegebenheiten zu reagieren, frei und selbstbestimmt zu arbeiten und produktiver zu sein. Darauf müssen wir als Gestalter reagieren und Typologien entwickeln, die eine räumliche Antwort auf die Fragen geben: Wie können wir ein gesundes Leben führen, unabhängig davon, was wir tun, und wie können wir diesen vermeintlichen Gegensatz von Leben und Arbeiten als integralen Bestandteil eines Ganzen betrachten? Was hieße es, statt Büroflächen Lebensarbeitsräume zu schaffen? Räume, in denen der Dreiklang von Gesundheit, Begegnung und lebenslangem Lernen im Mittelpunkt steht.
Es sind die Zwischenräume, die das meiste Potenzial haben, Neues zu schaffen – denn Innovation findet immer in den Grenzbereichen statt.“
Peter Ippolito,
Ippolito Fleitz Group GmbH.
„Klassische“ Büros werden so zu einem Feld der Möglichkeiten. Mit mannigfaltigen Formaten und Räumen, die genauso dynamisch sind wie der kollaborative Austausch, der hier stattfindet. Konkret bedeutet dies einen choreografierten Kanon von Raummodulen: für fokussiertes Arbeiten, für diskrete und informelle Gespräche im Sitzen oder Stehen, für den Rückzug zum Nachdenken und Wiederaufladen, für kleine Workshops und große Präsentationen sowie für spontane Meetings und Coworking-Situationen. Kurz: eine auf Unternehmen und Mitarbeitende angepasste Mischung aus Kommunikation, Kollaboration, Konzentration und Kontemplation mit der Option, für jede Tätigkeit und jeden Arbeitsstil die optimale Umgebung zu finden.
Wenn Arbeit und Freizeit nicht mehr strikt getrennt werden und es darum geht, Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit zu erfahren, müssen auch Büros keine reinen Arbeitsorte mehr sein, sondern können hybride Szenarien ermöglichen. Um Mitarbeitende in ihrer Lern- und Leistungsfähigkeit zu unterstützen, lohnt es sich, in Formaten und Orten zu denken, an denen kognitive Fähigkeiten weiterentwickelt werden können. Dazu gehören „Maker Spaces“, die zum Gestalten mit den Händen anregen, ebenso wie Hubs, in denen spielerisches Lernen analog und digital erlebbar wird. Hospitality-Bereiche, die nicht nur Gastronomie sind, sondern zu Begegnungsstätten und Coworking Spaces werden. Event Spaces bzw. Learning Center mit aktiv gemanagten und abwechslungsreichen Programmen, die den Austausch fördern und ein kontinuierliches Fortbilden ermöglichen. Studios, in denen Fotos, Podcasts oder Filme aufgenommen und Mitarbeitende kreativ werden. Kinderbetreuung schafft mehr Freiräume für Familien. Mit Health-Checks, Fitnessstudios bzw. Spa-Bereichen lassen sich Sport und Wellbeing in den Tagesablauf integrieren. All das gehört ebenso zum Raumprogramm wie Flächen, die spontan zu Bühnen oder kommunikativen Marktplätzen transformiert werden, um Zwischenräume zu erschließen. Der klassische Facility-Manager entwickelt sich zum Community-Manager. Mehrwert entsteht durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Energien und ist größer als die bloße Summe der Einzelteile. Arbeit kann in einen selbstverständlichen Prozess eingebettet sein und zu einem vielfältigen, lebendigen Ort werden, an dem sich Menschen begegnen, um sich zu entfalten und gegenseitig zu bereichern.
Aneignung + Zugehörigkeit = Identität
Aneignung und damit Ownership und Zugehörigkeit entstehen durch Teilhabe, Angebotscharakter sowie die Einladung, sich den Raum zu erobern und das Dazwischen zu eigen zu machen. Mit unserer Gestaltung beginnen wir nur Geschichten, die erzählt werden können und sollen, setzen Reibungspunkte. Fortsetzen müssen sie die Nutzer ganz individuell. Diese Reise des visuellen, taktilen Selbstentdeckens und gedanklichen Fortschreibens führt zu einer stärkeren Identifikation und Verbundenheit mit dem Unternehmen. Darum geht es letztlich immer: erinnerungswürdige und relevante Räume zu gestalten, die eine starke Persönlichkeit bzw. Identität haben und gleichzeitig offen sind für neue Erzählungen und ungeplante Begegnungen.
All dies kann nur erfolgreich sein, wenn es überzeugend und nahtlos in die Identität des Unternehmens eingebettet ist. Ein klares Verständnis der Werte und Haltungen, Führungs- und Kommunikationskultur, Zukunftsvision, aber auch der regionale Kontext bilden die Basis jeder Transformation. Wir alle haben ein feines Gespür, ob ein Angebot ernst gemeint ist. Nur was gelebt wird, hat eine Chance auf Erfolg. Somit ist es naheliegend, dass es bei der Gestaltung von Arbeitswelten nicht nur um Orte und Dinge geht, sondern – mindestens genauso wichtig – um die Gestaltung der Prozesse dahin. Denn den Mitarbeitenden darf der Wandel nicht passieren, idealerweise sind sie aktiver Teil der Veränderung. Das berührt unser Selbstverständnis als Gestalter: Statt Experten für Raum und Produkte sind wir Experten für das, was Menschen in unseren Räumen tun. Eigentlich selbstverständlich, oder? Statt der Fokussierung auf den gebauten Raum gestalten wir auch Beziehungen und Prozesse, werden zu Agenten von Transformationsprozessen. Statt abgeschlossenen Werken entwickeln wir Raum eher als Werkzeugkasten und Plattform für Entwicklung.
Das bedeutet nicht, dass ästhetische und funktionale Konzepte weniger wichtig werden, vielmehr verändert sich unsere Perspektive. Denn unsere Projekte werden sich weiterentwickeln und zukunftsfähige Büros nie fertig konzipiert sein. Sie verändern sich – wie sich auch unsere Vorstellung von Arbeit immer wieder verändern wird. Langfristig werden diejenigen erfolgreich sein, die bereit sind, diese Komplexität und Vielfalt zu umarmen und den Wandel offen, neugierig und mutig mitzugestalten.
BUCHTIPP: OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, HerstellernIn dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt und ausgezeichnet. Es handelt sich um besonders gelungene Planungs- und Einrichtungsbeispiele, „Lieblingsprojekte“ namhafter Architekten, Planer und Hersteller. Auch dieser im Berliner PRIMA VIER Nehring Verlag erschienene Sammelband stellt mit seinen 208 hochwertig produzierten Seiten ein opulentes Kompendium dar. Nach Grußworten von Prof. Carsten Wiewiorra (BDIA) und Helmut Link (IBA) sowie Autorenbeiträgen renommierter Architekten folgen die bilderreich dargestellten Referenzbeiträge: Top-Projekte, die den Architekten, Planern und Herstellern besonders am Herzen liegen und die Redaktion beeindruckt haben. „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“, Robert Nehring (Hg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 208 Seiten, DIN A4, 79,90 € (Hardcover), 64,90 € (E-Book). Erhältlich unter office-roxx.de/shop. |