„Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.“ Unsere Bundesbauministerin hat vorgeschlagen, einfach aufs Land zu ziehen, wenn man in der Stadt keine Wohnung findet. Der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Unser Coworking-Experte Tobias Kremkau dagegen begrüßt den Vorstoß aus gutem Grund.
Angesichts der jüngsten Meldung, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) Menschen ermutigt, aus Großstädten in ländliche Gebiete zu ziehen, um die Wohnungsnot zu lindern, gewinnen Coworking Spaces eine neue und wichtige Bedeutung. Sie müssen ein fester Bestandteil der angekündigten „Strategie gegen den Leerstand“ werden. Denn auf die beiden Buzzwords Homeoffice und Digitalisierung darf der Aspekt der notwendigen Infrastruktur für das Leben und Arbeiten im ländlichen Raum nicht reduziert werden.
Vor zweieinhalb Jahren bin ich mit meiner Familie aus Berlin-Friedrichshain in die altmärkische Hansestadt Stendal gezogen, hauptsächlich wegen der Wohnungsnot in Berlin. Hier haben wir mehr Wohnraum für weniger Geld, zahlreiche Optionen der Kinderbetreuung und können unsere alltäglichen Wege problemlos zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen. Ein Auto haben wir bislang nicht gebraucht. Stendal ist für uns die gelebte Utopie der 15-Minuten-Stadt, in der alles innerhalb einer Viertelstunde erreichbar ist.
Ein wesentlicher Grund, warum wir diesen Schritt wagen konnten, war, dass wir unsere Arbeit mitgebracht haben. Das war entscheidend, da das regionale Lohnniveau sehr niedrig ist und die angebotenen Stellen oft nicht attraktiv sind. Ein gut bezahlter und sinnstiftender Beruf ist jedoch von großer Bedeutung. Dank mobiler Arbeit und Digitalisierung ist dies möglich. Bundesbauministerin Klara Geywitz hat daher Recht, wenn sie die Chancen der digitalisierten und hybriden Arbeitswelt für den ländlichen Raum betont.
Eine unserer größten Herausforderungen war und ist die soziale Integration in unsere neue Umgebung. Anders als in Friedrichshain, wo öffentliche Spielplätze belebt sind, haben hier viele Familien private Mini- Spielplätze in ihren Gärten. Die anderen Eltern in der Kita sind meistens Einheimische mit etablierten sozialen Netzwerken und suchen selten neue Bekanntschaften. Zudem sehe ich meine Kollegen durch die mobile Arbeit nur alle drei Monate bei unseren Team-Offsites, wodurch ich oft den ganzen Tag allein in meinem Arbeitszimmer verbringe.
Die Website Moderne Regional hat das „Kirchenmanifest“ vorgestellt, ein Plädoyer für den Erhalt und die moderne Nutzung von Kirchengebäuden. Es beleuchtet die Herausforderungen und Chancen für die Zukunft dieser historischen Strukturen und bietet konkrete Vorschläge zur innovativen Nutzung, um ihren kulturellen und gesellschaftlichen Wert zu erhalten. Das Manifest richtet sich an Architekten, Denkmalpfleger und Interessierte, die sich für die nachhaltige Nutzung, beispielsweise als Coworking Space, einsetzen.“
Tipp von Tobias Kremkau
Coworking Spaces können vor sozialer Isolation schützen, besonders Menschen, die neu in ländliche Gebiete gezogen sind und mobil arbeiten. Sie bieten eine gemeinschaftliche Arbeitsumgebung, in der Menschen aus verschiedenen beruflichen Hintergründen zusammenkommen. Durch regelmäßige Veranstaltungen und soziale Aktivitäten entstehen neue Bekanntschaften und Freundschaften, die das soziale Leben bereichern.
Ein weiterer Aspekt, bei dem Coworking Spaces als relevante Infrastruktur punkten, ist der Zugang zu schnellem Internet. Laut einer Marktanalyse des Vergleichsportals Verivox sind bundesweit erst 190 Dörfer vollständig ans Glasfasernetz angeschlossen. Es könnte noch Jahre dauern, bis sich die Situation verbessert. Coworking Spaces können Zugang bieten.
Unsere Lebensqualität wird maßgeblich davon bestimmt, wie wir wohnen, daher ist die Initiative der Bundesbauministerin zu begrüßen. Doch ebenso entscheidend ist unsere Arbeitssituation. Selbst der schönste Wohnraum macht nicht glücklich, wenn die Arbeitssituation unbefriedigend ist – und umgekehrt. Neben bezahlbarem Wohnraum benötigen wir daher auch die notwendige Infrastruktur für mobiles Arbeiten in ländlichen Regionen sowie ein Recht auf mobile Arbeit. Dies würde uns unabhängiger vom Wohlwollen der Arbeitgeber machen, eine Aufgabe, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angehen könnte. Am besten noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr.