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Kindness Economy: Oona Horx Strathern plädiert für neue Narrative

In ihrem neu­en Buch beschreibt die Zukunfts­for­sche­rin Oona Horx Stra­thern einen Gegen­trend zum vor­herr­schen­den, auf Pro­fit aus­ge­rich­te­ten Busi­ness­mo­del: die Kind­ness Eco­no­my. Hier erklärt sie, was sich dahin­ter verbirgt.

Besonders bei Arbeitnehmern der Generationen Y und Z wächst ein Bewusstsein für Unternehmensethik. Abbildung: Yan Krukau, Pexels

Beson­ders bei Arbeit­neh­mern der Gene­ra­tio­nen Y und Z wächst ein Bewusst­sein für Unter­neh­mens­ethik. Abbil­dung: Yan Kru­kau, Pexels

Ist Kind­ness (engl. Freund­lich­keit) die Trieb­fe­der einer neu­en Öko­no­mie? Auf den ers­ten Blick schei­nen sich die bei­den Begrif­fe nur schwer mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren zu las­sen. Aber stel­len Sie sich eine Wirt­schaft vor, in der wir Men­schen und Mensch­lich­keit als Prio­ri­tä­ten set­zen. Und stel­len Sie sich wei­ter vor, bei Kind­ness gin­ge es um viel mehr, als nur freund­lich zu sein. Im Kern stellt die Kind­ness Eco­no­my das tra­di­tio­nel­le Busi­ness­den­ken auf den Kopf. Das Mot­to heißt „Peo­p­le, Pla­net, Pro­fit” – in die­ser Rei­hen­fol­ge. Den­ke zuerst an Men­schen, dann an den Pla­ne­ten, dann an Profit.

Arbeit neu gedacht

Das eng­li­sche Wort Kind­ness klingt harm­los, bedeu­tet aber viel mehr als „nett sein“. Im Kon­text der Kind­ness Eco­no­my geht es um Respekt, Auf­merk­sam­keit, Anstand und auch um Freund­lich­keit. Ist das in der heu­ti­gen Wirt­schafts­la­ge wirk­lich so eine schlech­te Idee? Fir­men wie Pata­go­nia sind Vor­rei­ter. CEO Yvon Chou­i­nard erklär­te dazu: „Bei Pata­go­nia ist Gewinn nicht das Ziel. Der Zen-Meis­ter wür­de sagen, dass Gewin­ne gesche­hen, wenn Sie alles ande­re rich­tig machen. Außer­dem wedelt in vie­len Unter­neh­men der Schwanz (Finan­zen) mit dem Hund (Unter­neh­mens­ent­schei­dun­gen). Wir bemü­hen uns, die Finan­zie­rung von Maß­nah­men, die der Umwelt zugu­te­kom­men, damit in Ein­klang zu brin­gen, dass wir auch in den nächs­ten hun­dert Jah­ren noch im Geschäft blei­ben wollen.“

Auf Grund­la­ge von Chou­i­nards Arbeits­ethik und sei­ner Phi­lo­so­phie funk­tio­niert das bereits seit den 1970ern: „Wir prak­ti­zie­ren eine fle­xi­ble Arbeits­ein­tei­lung. Das tun wir, seit wir eine Schmie­de­werk­statt waren, die jedes Mal zumach­te, wenn die Wel­len zwei Meter hoch und spie­gel­glatt waren. Unse­re Poli­tik hat den Mit­ar­bei­ten­den immer fle­xi­ble Arbeits­zei­ten erlaubt, solan­ge die Arbeit ohne nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf ande­re getan wird.“ Chou­i­nard war immer über­zeugt, dass fle­xi­ble Arbeits­zei­ten dazu füh­ren, dass die Mit­ar­bei­ten­den bes­ser wer­den und mit ihnen die Erträ­ge. So war sein Unter­neh­men eines der ers­ten in den USA, das auf Fir­men­kos­ten eine Kin­der­be­treu­ung vor Ort anbot. „Bei Pata­go­nia“, so Chou­i­nard, „bringt unse­re Kin­der­be­treu­ung eines unse­rer bes­ten Pro­duk­te her­vor: aus­ge­zeich­ne­te Kin­der.“ Und glück­li­che Eltern. Es über­rascht wohl nicht, dass etwa 50 Pro­zent sei­ner Mit­ar­bei­ten­den weib­lich sind.


BUCHTIPP:

Oona Horx-Strathern: Kindness Economy – Das neue Wirtschaftswunder*, Gabal, 224 S., 32,99 €.

Abbil­dung: Juli­an Horx

Oona Horx-Stra­thern: Kind­ness Eco­no­my – Das neue Wirt­schafts­wun­der*,
Gabal, 224 S., 32,99 €.


Wenn Sie eine ein­fa­che Erklä­rung für das heu­ti­ge Inter­es­se an der Kind­ness-Öko­no­mie suchen, den­ken Sie nur an die vie­len Bei­spie­le für eine „unfreund­li­che“ Eco­no­my. Hören Sie Freun­den und Ver­wand­ten zu, die in ihrem Job unglück­lich sind, deren Talent dort ver­schwen­det wird. Den­ken Sie an die „Gre­at Resi­gna­ti­on“ (Men­schen ver­las­sen ent­täuscht ihren Arbeits­platz) oder „Quiet Quit­ting“ (das Mini­mal­pro­gramm bei der Arbeit). Unter­neh­men wie Uber und Ama­zon sind in den letz­ten Jah­ren aus den fal­schen Grün­den in die Schlag­zei­len gera­ten – die Geschich­ten von aus­ge­beu­te­ten, gestress­ten Arbei­tern spre­chen für sich.

Abschied vom „Old Deal“

Eine Umfra­ge von Hew­lett-Packard von 2023 mit dem Namen „Work Rela­ti­onship Index“ hat erge­ben, dass nur 27 Pro­zent der Wis­sens­ar­bei­ter ein gesun­des Ver­hält­nis zur Arbeit haben. Umge­kehrt bedeu­tet das: Fast zwei Drit­tel glau­ben, dass sie ein unge­sun­des Ver­hält­nis zur Arbeit haben. Dar­über hin­aus gaben nur 29 Pro­zent der in zwölf Län­dern befrag­ten 15.000 Men­schen an, dass ihr Job durch­weg die Bedürf­nis­se nach Sinn, Selbst­be­stim­mung und ech­ter Ver­bun­den­heit erfüllt. Wie der CEO von HP, Enri­que Lores, im Fach­ma­ga­zin Fast Com­pa­ny schrieb: „Wir müs­sen die fal­sche Wahl zwi­schen Pro­duk­ti­vi­tät und Glück ableh­nen.” All­zu oft wer­den die­se als gegen­sätz­li­che Kräf­te dar­ge­stellt. Aber wenn man wirk­lich inne­hält und dar­über nach­denkt, gehen sie Hand in Hand.

Die Kind­ness Eco­no­my ist ein Gegen­trend. Sie ist Teil unse­rer wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung von der rei­nen Indus­trie­ge­sell­schaft zur post­in­dus­tri­el­len Dienst­leis­tungs- und Wis­sens­ge­sell­schaft. Die nächs­ten Gene­ra­tio­nen sind schon dabei, den „Old Deal“ infra­ge zu stel­len, und zwar von unten und von oben. Alte Arbeits­mo­del­le des Indus­tria­lis­mus wie die Nine-to-five-Logik bre­chen auf. Die Vier-Tage-Woche ist viel­fach im Gespräch und die 2:3:2-Hybrid-Arbeitsformel auch (zwei bis drei Tage Büro, zwei bis drei Tage Home­of­fice und zwei Tage frei). In gewis­ser Wei­se wech­seln sogar die Macht­po­si­tio­nen im Her­zen der Öko­no­mie: von Kapi­tal zu Arbeit. Die wirk­lich knap­pe Res­sour­ce der Zukunft ist die mensch­li­che Arbeitskraft.

Fir­men, die nur Gewinn­ma­xi­mie­rung prio­ri­sie­ren, ver­nach­läs­si­gen Fak­to­ren wie Nach­hal­tig­keit, Pur­po­se und Ver­ant­wor­tung. Die­se sind übli­cher­wei­se als „soft skills“ oder „soft goals“ dar­ge­stellt und wer­den von Arbeits­su­chen­den als immer wich­ti­ger erach­tet. Umfra­gen der letz­ten Jah­re bele­gen, dass ins­be­son­de­re bei Per­so­nen der Gene­ra­tio­nen Y und Z das Bewusst­sein für Unter­neh­mens­ethik ste­tig wächst. Laut einer Stu­die des Welt­wirt­schafts­fo­rums von 2023 wür­den sich 50 Pro­zent die­ser Gene­ra­tio­nen wei­gern, für einen Arbeit­ge­ber zu arbei­ten, der sich nicht pro­ak­tiv um mehr Nach­hal­tig­keit bemüht.

Neben den gut beleg­ten wech­seln­den öko­lo­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen sehen wir uns auch mit einem enor­men, bis­her nie da gewe­se­nen Aus­maß an Ernüch­te­rung unter den Arbeits­kräf­ten, an gesell­schaft­li­cher Unzu­frie­den­heit und Ein­sam­keit kon­fron­tiert. In die­ser Situa­ti­on ist die in der Wirt­schaft jahr­zehn­te­lang betrie­be­ne Stra­te­gie, alles dem Pro­fit unter­zu­ord­nen und sich um die Men­schen oder den Pla­ne­ten „einen Dreck zu sche­ren“, nicht mehr län­ger trag­bar. Es ist Zeit für eine Trans­for­ma­ti­on. Und dafür brau­chen wir neue, inspi­rie­ren­de Nar­ra­ti­ve. Wäh­rend Fabeln uns Gefah­ren und Fal­len bewusst machen, kön­nen Nar­ra­ti­ve etwas ver­än­dern. Sie trei­ben auch die Wirt­schaft an, so Robert Shil­ler, der Trä­ger des Alfred-Nobel-Gedächt­nis­prei­ses für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten von 2013: „Vie­les, was in der Wirt­schaft pas­siert, hängt tat­säch­lich von den Geschich­ten ab, die wir uns gegen­sei­tig erzäh­len, und vie­les, was Men­schen tun, ist nicht wirk­lich opti­mal für sie.“ In sei­nem Buch „Nar­ra­ti­ve Eco­no­mics“ ver­gleicht Shil­ler die Aus­brei­tung von Nar­ra­ti­ven und deren Fol­gen mit einer Epi­de­mie: „Es ent­ste­hen stän­dig neue Vari­an­ten der Grip­pe, die meis­ten davon ver­flüch­ti­gen sich aber wie­der. Genau­so ver­hält es sich auch mit Nar­ra­ti­ven – sie mutie­ren und ver­än­dern sich, sie kom­men und gehen, aber nur eini­ge kön­nen eine gewis­se Sta­bi­li­tät errei­chen und sich durchsetzen.“

Denken der Zukunft

Die Kind­ness Eco­no­my ist ein „Mem“ (kleins­te kul­tu­rel­le Ein­heit zum Zweck der Selbst­re­pli­ka­ti­on), das sich in ver­schie­de­nen For­men, Bran­chen und Arten aus­brei­ten kann: in gro­ßen oder klei­nen Fir­men, von der Stadt­pla­nung bis zu klei­nen Com­mu­ni­tys, von der Fir­men­stra­te­gie bis ins täg­li­che Leben. Stel­len Sie sich zum Bei­spiel vor, Ihre Fir­ma hät­te einen „Chief Kind­ness Offi­cer“. Und statt über „KPIs“ (Key Per­for­mance Indi­ca­tors) zu reden, wür­de mit Kind­ness Per­for­mance Indi­ca­tors ope­riert. Um es mit den Wor­ten von Mary Por­tas, der bri­ti­schen Busi­ness­exper­tin, aus­zu­drü­cken: „Es ist gera­de eine all­ge­mei­ne Ten­denz zu spü­ren, den aktu­el­len Zustand zu hin­ter­fra­gen, und das gibt uns die Mög­lich­keit – als Unter­neh­men, als Kun­den, als Men­schen –, aufs Neue zu defi­nie­ren: Was könn­te und was soll­te Kapi­ta­lis­mus sein.” Und das ist weit mehr als nur ein mora­li­scher Appell. Es ist das Den­ken der Zukunft.

Oona Horx-Strathern, Trend- und Zukunftsforscherin. Abbildung: Aria Sadr Salek

Abbil­dung: Aria Sadr Salek

Oona Horx Strathern,

Trend- und Zukunftsforscherin.

strathern.eu

 

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