In letzter Zeit werden auch zunehmend die Herausforderungen thematisiert, die mobile Arbeit mit sich bringt. Tobias Kremkau wittert hier jedoch nackte Angst bei den Profiteuren einer vergangenen Zeit.
In den letzten Wochen verging kein Tag, an dem nicht irgendwo ein Meinungsbeitrag darüber erschien, dass das Homeoffice schlecht für die Gesundheit der Menschen ist, Workation der Umwelt schadet oder man bitte doch seine Bedürfnisse wieder hinten anstellen und allgemein mehr Bock auf Arbeit im Büro haben sollte – vor allem diese jungen Leute. Momentan weht der modernen Arbeitswelt ein mächtiger Gegenwind ins Gesicht. Der Vorteil daran ist, dass man besser wittern kann, woher dieser genau kommt. Und ich kann sagen, ich rieche die nackte Angst in diesen Beiträgen.
In den 15 Jahren vor der Coronapandemie durchlief die Bundesrepublik eine wirtschaftliche Hochkonjunktur. Von 2005 bis 2020 stieg das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um rund 43 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen ist trotz des pandemiebedingten Anstiegs im Jahr 2020 um rund 44 Prozent gegenüber 2005 gesunken. Die Steuereinnahmen sind in diesem Zeitraum kontinuierlich gestiegen und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gesunken. An so erfolgreiche Zeiten kann man sich schnell gewöhnen. Doch nichts ist so beständig wie der Wandel.
Wer nach drei Jahren Pandemie, in denen die Arbeitswelt endlich hybrid wurde, nun das Rad der Geschichte zurückdrehen möchte, hat nicht verstanden, wie sehr uns die Hochkonjunktur auch lähmte. Während die Wirtschaftskrise in Spanien und die stagnierende Wirtschaft in Frankreich in den 2010er-Jahren dazu führte, dass die Arbeitswelt in diesen beiden Ländern flexibler, innovativer und vor allem digitaler werden musste, scheute man in Deutschland lange Zeit jede Veränderung. Die Aussage des englischen Weltmeistertrainers Alf Ramsey „Verändere niemals ein siegreiches Team“ wurde scheinbar zum Mantra des ganzen Landes.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich auf einen Abschwung nur gewartet habe. Dass dieser durch eine die sozialen Kontakte hemmende Pandemie kommt, habe ich auch nicht kommen sehen oder gewollt. Wer aber mit Coworking vertraut war, dem war klar, dass der Bedarf an Coworking Spaces steigen wird, sobald es der Wirtschaft schlechter geht. Ich habe auf meinen Reisen durch Europa gesehen, wie sich Coworking in Spanien und Frankreich entwickelt hat. Barcelona überholte Berlin als Coworking-Hauptstadt Europas und in Frankreich entstanden überall Coworking Spaces, auch im ländlichen Raum. Die irische Regierung initiierte zum Beispiel ein Netzwerk von 400 Coworking Spaces, in denen bis zu 20 Prozent der Landesbediensteten arbeiten werden.
Solche Entwicklungen wünschte ich mir auch für unser Land. Und teilweise kam es als Folge der Pandemie bereits so. In Schleswig-Holstein arbeiten Angestellte der Landesverwaltung auch mobil von Coworking Spaces aus, immer mehr Unternehmen haben mobile Arbeit als Option in ihre Betriebsvereinbarungen aufgenommen und inzwischen sind rund 25 Prozent aller Angestellten in Deutschland, im Dienstleistungssektor sogar 35 Prozent, regelmäßig mobil tätig. Noch sind wir nicht am Ziel. Wir brauchen eine echte Handlungsfreiheit bei der Entscheidung, von wo aus wir arbeiten wollen. Nicht nur einen Homeoffice-Tag.
Das gefällt nicht jedem. Vor allem nicht denen, die von dem sehr starren Zustand der alten Arbeitswelt profitiert haben. Nun bleiben neue Büroimmobilien oft leer, Flächen werden verkleinert und Mieten fallen weg. In den USA spricht man bereits vom Real Estate Armageddon. Der CMBX-Index, der anzeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass US-amerikanische Vermieter von Bürogebäuden in der Lage sind, ihre Hypotheken an die Banken zu zahlen, ist auf einem Allzeittief. Noch ist der Büroflächenleerstand in den deutschen Oberzentren mit etwa 4,1 Prozent sehr gering, doch bereits für dieses Jahr ist ein Anstieg prognostiziert. Wie so oft, kommt auch diese Entwicklung bei uns nur langsam an.
Dies verängstigt einige Menschen, denn es drohen Wertverluste. Andere sind mit den neuen Anforderungen an die Unternehmens- und Führungskultur in einer hybriden Arbeitswelt überfordert. Alles wird anders und die Rezepte der alten Welt funktionieren heutzutage nicht mehr. Die Pandemie wirkte auch hier wie ein Brandbeschleuniger. Dass sich dagegen Widerstand regt, kann ich nachvollziehen. Ich habe einmal gelesen, dass Widerstand der siamesische Zwilling der Veränderung ist. Keine Veränderung ohne Widerstand, ohne Widerstand aber auch keine Veränderung.