In ihrer Kolumne beleuchtet Andrea Trapp, Vice President Business International von Dropbox, wie sich Wissensarbeit in Zukunft entwickeln kann. Der zweite Teil erinnert an Work-Hacks der großen Dichter- und Denker. Als Pioniere des Arbeitens von zu Hause und unterwegs könnten ihre Routinen helfen, unser Arbeitsleben zu optimieren.
Thomas Manns autonome Arbeitsroutine in einem bewusst unflexiblen Tagesablauf brachte ihm 1929 den Literaturnobelpreis ein. Verfolgt man die Familiengeschichte der Manns, jagte ein „Rekord“ den nächsten – alles von zu Hause gemeistert. Wie musste der Alltag aussehen, um Grundlage für dermaßen erfolgreiches, sinnstiftendes Arbeiten zu bieten? Sein Wecker klingelte um 8 Uhr, das Frühstück stand um 8:30 Uhr bereit, die Arbeit begann um Punkt 9 Uhr. Dann brauchte Mann drei Stunden Fokusarbeit ohne jegliche Störung. Tee gab es um 17 Uhr und zum Tagesabschluss einen Spaziergang zwischen halb acht und acht.
So organisierte sich Thomas Mann – gestern und heute
Rigide Grenzen, eine strenge Tagesphasenunterteilung nach asynchroner und synchroner Arbeit sowie geräuschfreie Konzentration hat Thomas Mann als eiserne Prinzipien seiner Organisation etabliert. Das waren die Grundlagen für sein künstlerisches Schaffen, denen alles untergeordnet wurde. Statt Befehl und Gehorsam wären heute wahrscheinlich gleichberechtigte Diskussionen und Entscheidungen zu den Vereinbarungen in Sachen Kernarbeitszeit im Homeoffice und gemeinschaftlicher Familiengestaltung an der Tagesordnung bei den Manns. Um sein Arbeitsumfeld über seine Grenzen in Kenntnis zu setzten, würde Thomas Mann seinen Kalender in farblichen Blöcken markieren, Benachrichtigungen ausschalten, wenn er in seiner Fokuszeit ist, eine Terminplanungssoftware wie Calendly einführen und sich mit anderen auf Kollaborationszeiten verständigen. Und Noise-Cancelling-Kopfhörer wären wohl sein liebstes Accessoire – wenigstens von 9 bis 12 Uhr.
Goethe und Schiller: Die Signatur als verbindliche Deadline
So unterschiedlich und individuell die Menschen sind, so verschieden ist auch ihre Art, sich für ihre Arbeit zu motivieren. Schiller behauptete, ohne den Geruch verfaulten Obsts in der Schublade nicht schreiben zu können. Zum Glück setzte das Duo Schiller und Goethe damals auf verteiltes Arbeiten und musste sich kein Schreibzimmer teilen. Sie hätten sich wohl eher gestritten, anstatt zu schreiben. Neben den unterschiedlichen Arbeitszeiten – Goethe war Morgenmensch, Schiller Nachtschwärmer – liebte Schiller das Rauchen, Goethe bemerkt dazu knapp: „Es macht unfähig zum Denken und Dichten.“ Ergo war die einzige Möglichkeit, zusammenzuarbeiten, räumliche und zeitliche Trennung. Ganz nach den Ansätzen von Virtual First galt: asynchrones Arbeiten für gemeinsames Arbeiten.
Wahrscheinlich würde Goethe den Schiller einfach auf ein digitales Typoskript zu einem Schulterblick einladen, der dann asynchron sein Feedback abgeben könnte, wie es beispielsweise mit Dropbox Paper möglich ist. Für die Verbindlichkeit in der Distanzarbeit wählten die beiden das Briefmedium und setzen sich postalisch ihre Deadlines für Abgaben. Heute würden das Verlage inklusive Mahngebühr übernehmen. Hier wäre die Nutzung einer elektronischen Signatur, wie beispielsweise Dropbox Sign, als verbindliche Unterschrift exzessiv gewesen, da jeder noch so kleine Brief über die Fertigstellung des „Faust” einer verbindlichen Unterschrift Goethes bedurfte. So gelang ihnen in asynchroner Zusammenarbeit das große Drama – ganz ohne Drama.
Arbeit auf Achse: Ingeborg Bachmann
Für Virtual First hätte auch Ingeborg Bachmann in vorderster Reihe gestanden. Stets auf Reisen – meist der Liebe zu Max Frisch wegen – hielt es Bachmann nie lang am gleichen Ort. Feste Bürozeiten – unvorstellbar. Vom Studium in Innsbruck über Graz, Wien, Rom nach München, Zürich und schlussendlich wieder Rom. Ein Leben auf Achse statt im immer gleichen Alltag und das ganz ohne Produktivitätseinbußen. Denn „Arbeitsplatz“ war schon bei Ingeborg Bachmann „überall dort, wo gearbeitet wird”.
In die heutige Zeit übertragen heißt das, egal ob physischer Raum oder digitale Umgebung – Arbeitsplatz ist das, was wir uns als solchen einrichten. Das Beste daran? Wohnungen kommen und gehen, Bachmanns Gedichte bleiben. Für die Dichterin auf Achse wäre heute die Cloud der digitale Ankerpunkt eines bewegten Lebens. Statt Stift und Papier wäre sie stets mit Notebook unterwegs, um überall ihre Gedanken und Texte festzuhalten, in der Cloud zu speichern und jederzeit wieder abrufen zu können. Ein Arbeits- und Speicherort, so (orts-)unabhängig und frei wie Bachmann selbst. Das hätte ihr gefallen. Eines hätte sie jedoch niemals goutiert: einen Einblick in ihre Liebesbriefsammlung. Weder Max Frisch hätte an Celan gerichtete Briefe finden sollen noch andersherum – Beziehungschaos vorprogrammiert. Die Lösung? Tools wie DocSend für passwortgeschützten Dokumentenverkehr und kontrollierte Ordnerfreigabe.
Neugierde als Motor bei Max Frisch
Apropos Liebe und Max Frisch. Der Schweizer Schriftsteller schuf sich mit einem zum Studio umgebauten Stall im Tessiner Bergort Berzona ein Refugium für sein Schaffen, bewusst räumlich getrennt von Wohn- und Schlafstätte. Dort schrieb er das zweite von insgesamt drei Tagebüchern der besonderen Art: Durch eine kreativ künstlerische Umsetzung der Tagesgeschehnisse etablierte Frisch das Tagebuch als Kunstform. Eine Besonderheit stellt sich bei Frischs „Tagebuch 1966-1971“ ein, in dem er das Format des Fragebogens als Instrument nutzt. Offen bleibt, an wen sich die Fragen richten, jedoch bieten sie eine Steilvorlage zum interaktiven Umfrage-Tool der neuen Arbeitswelt.
Frischs Fragen wären im Kontext von New Work richtig platziert, ebenso wie das eigene Leben und Schaffen im Spiegel des Zeitgeistes und der weltpolitischen Lage zu reflektieren. In die neue Arbeitswelt würde auch das Reverse Mentoring oder Reverse Learning passen, das er vollzog, wenn er oft die Nächte mit jungen, bewussten Menschen bis in die Morgenstunden durchdiskutierte.
Verfolgt man die Spuren von Thomas Mann, Schiller, Goethe, Ingeborg Bachmann oder Max Frisch erkennen wir Muster: Smarte Arbeitsroutinen schaffen Raum für Kreativität, Kommunikation und Kollaboration – heute erleichtert in einer Virtual-First-geprägten Arbeitswelt.
Andrea Trapp, |