Der Mediziner Eric Söhngen bringt mit dem Start-up Walkolution Bewegung ins Büro. Seine Laufbänder ermöglichen es, zu laufen während man arbeitet. Robert Nehring fragte ihn nach den Vorteilen.
OFFICE ROXX: Herr Söhngen, Sie sind Arzt. Was hat Sie dazu bewogen, ein Unternehmen für Laufbänder in Büroumgebungen zu gründen?
Dr. Eric Söhngen: Richtig, gerade weil ich Arzt bin, habe ich ein Laufband entwickelt (lacht). Als Menschen sind wir evolutionär bedingt auf kontinuierliche Alltagsbewegung angewiesen. Blutfluss und Stoffwechsel geraten sonst völlig durcheinander, mit dramatischen Folgen für die Gesundheit. Vereinzelte sportliche Betätigung kann die lange Sitzzeit, bei vielen im Büro Tätigen oft mehr als zwölf Stunden pro Tag, nicht ausgleichen. Da das Stehen am Schreibtisch auch nicht wirklich hilft, haben wir eine Lösung entwickelt, die es erlaubt, mühelos und ganz nebenbei in Bewegung zu bleiben und damit ernsthaften Krankheiten vorzubeugen.
Welche Vorteile bietet Ihre „Wandermühle“ – auch gegenüber ähnlichen Lösungen?
Es gibt bereits elektrische Laufband-Schreibtische am Markt. Diese verursachen jedoch störende Geräusche, zwingen den Anwender, in einem monotonen Tempo zu gehen, verbrauchen Strom und passen auch optisch nicht ins Büro. Unser System besitzt keinen Motor. Der Nutzer geht darauf sehr langsam (zwischen 0 und ca. 3 km/h) und passt seine Geschwindigkeit mit jedem Schritt intuitiv und unterbewusst an seine Arbeit an. Mal schneller, mal langsamer, mal steht man oder lehnt an der verbauten Stehhilfe. Die Steuerung erfolgt allein durch Schwerkraft. Das Ganze erfolgt lautlos. Man lenkt weder sich selbst noch andere ab, und man verbraucht keinen Strom. Wir haben sogar eine Version entwickelt, die beim Gehen Strom erzeugen kann. Die Laufbänder werden in unserer eigenen hochmodernen Fertigung in Deutschland hergestellt, sind völlig wartungsfrei und haben eine sehr gute Ökobilanz. Als Hauptbaustoff kommt Holz zum Einsatz.
Wie gut kommt Walkolution bislang an? Wo finden sich Ihre Lösungen bereits?
Der Markt hat die Lösung sehr positiv angenommen. Unter unseren Kunden finden sich vor allem innovative Mittelständler und Konzerne, die in die Gesundheit und Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter investieren. Zunehmend interessieren sich auch Home-Office-Nutzer für unsere Lösung. Einsatz findet sie nicht nur an klassischen Computerarbeitsplätzen. Einige Unternehmen nutzen die Walkolution auch für Besprechungen im Gehen oder stellen das System für die spontane Nutzung in Kreativ- oder Break-out-Bereichen zur Verfügung. Sie wird auch bereits in Bildungsinstitutionen eingesetzt, etwa in Universitätsbibliotheken.
2018 haben Sie ein Buch geschrieben. In „Death by Sitting“ fordern Sie eine Bewegungsrevolution. Was ist damit gemeint, und welche Gründe haben Sie dafür?
Viele Menschen wissen, dass viel Sitzen nicht gesund ist. Der eine oder andere kennt auch die Schlagzeile „Sitzen ist das neue Rauchen“. Häufig wird Sitzen aber vor allem noch mit Rückenschmerzen assoziiert. Die Realität ist, dass muskuloskelettale Beschwerden nur die Spitze des Eisbergs der mit Inaktivität verbunden Beschwerden darstellen. Das Buch versucht, eine Wissenslücke zu schließen und fasst auf verständliche Weise die Forschung der letzten Jahre zusammen. Es zeigt, wie fast jedes Organsystem und die meisten chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz- und selbst Krebserkrankungen mit unserer sitzenden Lebensweise direkt in Zusammenhang stehen. Unbewusst setzen sich die meisten von uns täglich diesem erheblichen Risiko aus. Deshalb brauchen wir in der Bevölkerung ein ausgeprägtes Bewusstsein für die im Buch beworbene Bewegungsrevolution.
Stichwort Revolution: Sie fordern, die tägliche Sitzzeit auf unter vier Stunden pro Tag zu begrenzen. Ist das nicht zu extrem? Ist nicht etwa für konzentrierte Büroarbeit körperliche Ruhe erforderlich?
Nein, das ist keinesfalls zu extrem. Entwicklungsgeschichtlich entspricht es dem, was uns als Spezies über Millionen von Jahren geprägt hat. Der hohe Grad an Inaktivität und das ständige Sitzen sind dahingegen eine junge Erscheinung. Es gibt sie erst seit etwa einhundert bis zweihundert Jahren. Die offizielle Empfehlung für Jugendliche bis 18 Jahre lautet schon jetzt, dass die tägliche Sitzzeit sogar weniger als zwei Stunden betragen sollte. Bislang haben wir oftmals schlicht und einfach keine Alternative zum Sitzen. Dass wir uns nur im Sitzen gut konzentrieren können, ist ein Irrglaube. Gehen läuft automatisch ab, es erfordert kein Multitasking. Die besten Ideen kommen einem ja auch häufig eher beim Spazierengehen oder Laufen, da sich unsere Aufmerksamkeit und der Blutfluss durch Bewegung erhöhen. Beim langsamen Gehen kann man auch ohne Probleme tippen, eine Maus bedienen oder lesen.
Was muss passieren, damit wir alle und insbesondere die Office-Worker uns ausreichend bewegen?
Es braucht dazu mehrere Komponenten. Allem voran geht ein neues Bewusstsein. Ein Bewusstsein davon, dass der menschliche Körper dazu bestimmt ist, sich mehr oder weniger den ganzen Tag zu bewegen und dass wir dadurch nicht nur von einem viel gesünderen Körper profitieren, sondern auch geistig leistungsfähiger werden. Die Erfahrung, wie dies im Alltag umgesetzt werden kann und die positive Rückkopplung, die man jeden Tag durch mehr Vitalität erlebt, möchte man dann auch nicht mehr missen. Wir sollten aber nicht erst im Büro damit anfangen. Nach der Schulzeit, in der wir das stille, lange Sitzen als Normalität erlernen, stellen wir unseren sitzenden Lebensstil einfach nicht mehr in Frage und nehmen ihn als unabänderlich wahr. Dabei ist er höchst unnatürlich. Deshalb müssen wir früher ansetzen und am besten gar nicht erst mit dem Sitzen anfangen.
Vielen Dank.
Sie wollen Dr. Söhngen live erleben?
Dann melden Sie sich zum Bürotrendforum Gesundheit am 2. Dezember in Fulda an. Renommierte Redner, darunter auch Dr. Martin Braun vom Fraunhofer IAO, Dr. Patricia Tegtmeier von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie Thomas Schlatte von MeineRaumluft.at, werden hier wissenschaftliche Erkenntnisse präsentieren. Kompetente Praktiker stellen erprobte Konzepte sowie empfehlenswerte Lösungen vor, und eine Ausstellung mit Büroprodukten zum Anfassen findet parallel statt. |