Planen Unternehmen neue Büros, entscheiden sie sich oft für offene Bürolandschaften, Open Space genannt. Warum eigentlich? Wir sprachen mit Nick Kratzer vom ISF München über deren Nutzen und Nachteile.
OFFICE ROXX: Herr Kratzer, warum wählen Unternehmen Open Spaces als Büroform?
Nick Kratzer: Einerseits spielt sicher eine Rolle, dass der Open Space gerade als DIE moderne Büroform gilt. Aber es gibt natürlich auch funktionale Gründe. Der Open Space gilt als adäquate Antwort auf die Anforderungen, aber auch Möglichkeiten (Stichwort: Digitalisierung) der gegenwärtigen Arbeitswelt. Es sind meist mehrere Ziele, die gleichzeitig erreicht werden sollen: Am weitesten verbreitet sind ökonomische Motive, also Kostenvorteile durch eine effizientere Nutzung der Flächen. Dann kommen etwa gleichauf die Verbesserung der Kommunikation, die Schaffung einer attraktiveren Arbeitsumgebung, die bei Mitarbeiterbindung und -rekrutierung helfen soll, sowie eine Erhöhung der Flexibilität. Ein fünftes Motiv könnte man Demokratisierung nennen: Der Open Space gilt dann als räumliche Umsetzung flacher Hierarchien und Selbstorganisation und zielt auch auf veränderte Führungsstrukturen und -kulturen.
Einige der Ziele wirken widersprüchlich …
Der Open Space wirkt hier wie eine Verheißung: Man hat viele Ziele, und es gibt eine Lösung: den Open Space. In der Praxis sieht es aber eher so aus, dass sich diese Ziele durchaus widersprechen können. Wenn zum Beispiel aus Kostengründen an der Attraktivität gespart werden muss oder wenn die höhere Flächeneffizienz mit Produktivitätsverlusten durch Lärm oder Störungen einhergeht. Wie sich die Vor- und Nachteile eines Open Space letztlich darstellen und ob und wie die genannten Ziele dann auch wirklich erreicht werden, muss erst noch erforscht werden.
Wie empfinden Mitarbeiter den Umzug in den Open Space?
Dass die Arbeitsumgebung eine ganz wichtige Rolle für das Wohlbefinden, aber auch die Arbeitsweise spielt, merkt man ganz deutlich, wenn sich die Arbeitsumgebung verändert. Die Veränderung der Arbeitsumgebung ist immer eine Herausforderung und auch eine Belastung. Es gibt Begeisterte, aber auch viel Skepsis bis hin zur Ablehnung. Dabei existieren durchaus positive Erwartungen und zwar insbesondere an eine Verbesserung der Kommunikation, mehr Transparenz sowie eine modernere und attraktivere Arbeitsumgebung. Befürchtet werden akustische Belastungen, Störungen und auch ein Verlust an Privatheit und Rückzugsmöglichkeiten.
Wie sieht es dann nach dem Umzug aus?
Interessant ist, dass sich nach dem Umzug sowohl die positiven als auch die negativen Erwartungen relativieren. Erste Erkenntnis für uns: Wie jede Büroform hat halt auch der Open Space Vor- und Nachteile. Zweite Erkenntnis: Grund für die Relativierung ist nicht nur die sozusagen passive Gewöhnung, sondern auch die aktive Aneignung: Man muss sich mit dem Open Space arrangieren, braucht Regeln, lernt, den Raum zu nutzen, aber auch sich abzuschotten usw. Es ist keine Büroform, die man einfach so kann, Open Space muss man lernen (oder sich zumindest daran gewöhnen).
Wie wirken sich Open-Space-Büros auf das Wohlbefinden und die Gesundheit aus?
Das lässt sich noch nicht abschließend sagen, weil es an Untersuchungen mangelt, die das komplexe Zusammenwirken von Organisation, Kultur, Arbeitsweisen, persönlichen Bedürfnissen und Raummerkmalen in den Blick nehmen. Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich auf nur eine oder wenige Dimensionen. Da sind wir mit unserem Forschungsprojekt PRÄGEWELT dran.
In welche Richtung wird es gehen?
Was sich jetzt schon sagen lässt: Erstens deutet sich an, dass sich die aus Studien zu Großraumbüros bekannten Probleme offener Räume auch im Open Space zeigen, also Probleme mit Licht, Luft und Lärm. Zweitens war sehr interessant, dass die möglichen psychischen Anforderungen und Belastungen bei der Entscheidung nur wenig berücksichtigt wurden und die Entscheider nur recht vage Vorstellungen davon haben, wie der Open Space wirkt. Es wird schlicht vermutet, dass eine angenehme Arbeitsumgebung irgendwie gut für das Wohlbefinden und ein gutes Wohlbefinden irgendwie gut für die Gesundheit ist. Das ist wohl auch nicht falsch, aber angesichts der großen Bedeutung der Arbeitsumgebung für Wohlbefinden und Gesundheit und der hohen Kosten, die mit neuen Büros verbunden sind, fanden wir es ein wenig schwach.
Was können Unternehmen tun, damit der Umzug in den Open Space gelingt?
Wir haben vier Erfolgsfaktoren herausgearbeitet. Den ersten Erfolgsfaktor haben wir Haltung genannt. Die Akzeptanz ist dann am größten, wenn Unternehmen bereit und in der Lage sind, den Veränderungsprozess konsequent zu verfolgen und glaubwürdig zu vertreten. Die Glaubwürdigkeit ist am höchsten, wenn wirklich alle mitmachen (müssen), also auch Management und Führungskräfte. Und wenn nicht dauernd über qualitative Ziele geredet wird, es am Ende aber doch nur um die Kosten geht. Zweitens: Beteiligung. Betriebs- oder Personalräte sind ebenso einzubeziehen wie die Mitarbeiter und die Führungskräfte. Beteiligung erhöht die Akzeptanz, stellt sicher, dass alle Interessen zumindest gehört werden, und ist Teil des Aneignungsprozesses. Der dritte Erfolgsfaktor ist Kompetenz. Man muss das Wissen aller relevanten Akteure einbeziehen, braucht eine Analyse des tatsächlichen Bedarfs, und auch externe Beratung hat sich als positiv erwiesen. Viertens: Steuerung. Erfolgreich sind Einführungsprozesse dann, wenn sie als Change-Prozess verstanden und entsprechend begleitet werden, und wenn es ein kompetentes, interdisziplinäres Steuerungsgremium gibt, an dem alle Stakeholder beteiligt sind.
Werden Open-Space-Büros in zehn, 15 Jahren immer noch als Wundermittel gelten?
Also, als Wundermittel sicher nicht, sondern entweder als etablierte Büroform oder als Irrweg der Vergangenheit. Sicher scheint, dass in Zukunft der Arbeitsplatz ein individuelles, flexibles Arrangement verschiedener Arbeitsorte sein wird: Betrieb, Home-Office, andere Orte. Das betriebliche Büro wird dabei, da waren sich auch fast alle Experten einig, weiterhin eine wichtige Rolle spielen und in einer zunehmend virtuellen Arbeitswelt wohl sogar eine noch wichtigere Rolle. Und zwar, so nennen wir das, als Hub und Home: als Knotenpunkt von Informationen und Entscheidungen und als der Ort, an dem sich ein Unternehmen materialisiert, eine Farbe, einen Geruch, eine Identität erhält. Und es spricht viel dafür, dass das dann ein Open Space ist, vermutlich aber einer mit vielen Rückzugsmöglichkeiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Sebastian Klöß.
Dr. Nick Kratzer ist Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München e. V. (ISF München) und Koordinator des Projekts PRÄGEWELT – Präventionsorientierte Gestaltung neuer Arbeitswelten. |