Samir Ayoub ist Experte, wenn es um New Work und New Office geht. Sein außergewöhnliches Branchen- und Projekt-Know-how sammelte er in über 750 Büroprojekten. In dieser Folge empfiehlt er, insbesondere bei Organisation und Digitalisierung mutig zu sein und auszuprobieren.
Ingenieurskunst, Fleiß und manchmal auch der Fußball: Deutschland wird im Ausland für vieles bewundert. Von Zeit zu Zeit werden wir aber auch belächelt – etwa, weil wir aus Liebe zur Bürokratie technologische Trends verschlafen oder vor lauter Bedenkenträgerei wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und nicht ins Handeln kommen. Die berühmte „German Angst“ ist tatsächlich ein Problem. Sie verhindert Innovationen, hemmt unsere Veränderungsbereitschaft und entwickelt sich gerade im digitalen Zeitalter zu einem handfesten Standortnachteil. Ich bin überzeugt: Wir können und müssen dem etwas entgegensetzen – Mut, Experimentierfreude und eine gesunde Lust am Risiko.
Klar ist: Wer zu viel über eine Sache nachdenkt, sie immer wieder von allen Seiten beleuchtet und sich im Grübeln verliert, verpasst einmalige Chancen. Unsere Arbeitswelt ist das beste Beispiel. Wie oft erlebe ich, dass Unternehmen hier Handlungsbedarf erkennen, aber einfach nicht den Mut haben, neuen Konzepten eine Chance zu geben. Das Ergebnis sind Strukturen aus den 80ern, frustrierte Führungskräfte und Teams, die unter ihren Möglichkeiten bleiben.
Nicht falsch verstehen: Ich erwarte nicht, dass Ihr Betrieb von heute an alles anders macht und sich innerhalb von 24 Stunden in ein New-Work-Vorzeigeunternehmen verwandelt. Ich möchte Sie aber ermutigen, den ersten Schritt zu wagen. Testen Sie die Vorzüge von Desk-Sharing-Modellen für eine effizientere Nutzung Ihrer Bürofläche. Gönnen Sie Ihrem Team eine Telefonbox für ungestörte Videocalls mit den Kunden oder ersetzen Sie die alten Sessel endlich durch ergonomische Bürostühle. Fangen Sie klein an. Im schlimmsten Fall sind Sie um eine Erfahrung reicher – im besten Fall legen Sie das Fundament für weitreichende Veränderungen, die Ihr Unternehmen zukunftsfähig machen. Denn eine Innovation zieht die andere nach sich.
Wenn die Arbeitswelt stetig im Wandel ist – wie gehen wir damit um? Mein Tipp: Entscheiden Sie sich dafür, diesen Wandel aktiv zu gestalten, anstatt von ihm überrollt zu werden. Das sollten Sie nicht alleine tun, sondern gemeinsam mit Ihrem Team. Ein autoritärer Führungsstil passt nicht mehr in unsere Zeit. Setzen Sie auf Partizipation, Kooperation und einen offenen Austausch. Das ist besonders dann wichtig, wenn Sie das erste Mal Konzepte wie Hybrid Work testen. Denn diese funktionieren nur, wenn sich neben der Arbeitsweise und Technik auch das Führungsmodell entwickelt. Remote Leadership wird in Zukunft sogar noch wichtiger, wenn das New Office durch den virtuellen Raum ergänzt wird. Und damit meine ich keine Videomeetings oder Messanger-Dienste.
BUCHTIPP:
Samir Ayoub: Mach’s menschlich: Was Arbeitgeber attraktiv macht. 40 Thesen zur Arbeitswelt von morgen*, Legenda Q, 164 Seiten, 20 €.
Mark Zuckerbergs Vision vom Metaverse wird oft infrage gestellt. Neben dem Meta-Konzern arbeiten aber längst viele andere Player an ähnlichen digitalen Realitäten, die unsere Arbeitswelt um eine virtuelle Dimension erweitern werden. Experten schätzen, dass spätestens in fünf Jahren 50 Prozent der Wissensarbeit im virtuellen Raum erledigt wird. Schon heute werden Onboarding-Prozesse und Learning-Journeys vollständig digitalisiert und effizienter als je zuvor gestaltet. Deutsche Architekten erklären ihren Kunden in China anhand virtueller 3-D-Modelle die Konstruktion eines Gebäudes, Forschende geben Unterricht im digitalen Klassenraum und Ingenieure nutzen Virtual Reality, um die Wartung von Maschinen weltweit zu überwachen. Klassische Videocalls wirken dagegen wie eine Entwicklung aus dem 19. Jahrhundert.
Genau wie das Büro an Ihrem Firmenstandort, wird auch das Virtuelle Office zum Markenbotschafter. Also: Wie soll sich Ihr Unternehmen im Metaverse präsentieren? Mit welchen Inhalten, Designs und Symbolen wollen Sie die Identifizierung mit Ihrer Marke steigern und gilt auch im Metaverse ein Dresscode für die Avatare Ihrer Mitarbeitenden? Indem Sie schon heute Antworten auf diese Fragen finden, lassen Sie die Bedenkenträger hinter sich und gewinnen einen entscheidenden Vorsprung im Wettbewerb – digital und analog.
Wenn Sie den Status quo immer wieder hinterfragen, mutig neue Konzepte ausprobieren und New Work als Chance begreifen, werden Sie den wirtschaftlichen Erfolg Ihres Unternehmens auch in Zukunft sicherstellen. Doch wirtschaftlicher Erfolg ist nicht alles. Er dient eigentlich nur der Entwicklung einer menschenzentrierten Arbeitswelt, wie ich sie in meinem Buch „Mach‚s menschlich – 40 Thesen für die Arbeitswelt von morgen“ beschreibe. Ziel ist eben nicht allein die Gewinnmaximierung. Auch die Digitalisierung oder New Work sind kein Selbstzweck. Ziel ist vielmehr eine Arbeitswelt, die Technologie und Menschlichkeit vereint, Erfüllung bietet und Sinn stiftet. Denn ist es nicht das, was wir alle anstreben sollten?