Bewegen bringt Segen – so viel ist klar. Zwei aktuelle Studien unterstreichen dies und fügen der Problematik zugleich neue Aspekte hinzu. Ein Überblick von Dr. Robert Nehring.
Wir bewegen uns zu wenig. Wir bewegen uns sogar immer weniger. Das hat der DKV Report „Wie gesund lebt Deutschland?“ zutage gefördert, der 2016 bereits das vierte Mal erschienen ist. Im Auftrag der Deutschen Krankenversicherung hat die GfK Nürnberg über 2.800 Menschen in Deutschland befragt. Schwerpunkt war in diesem Jahr das Sitzen am Arbeitsplatz.
Elf Stunden Po-Ebene: Mehr Bewegung erwünscht
Der DKV Report hat herausgefunden, dass 46 Prozent der Berufstätigen in Deutschland vorwiegend am Schreibtisch arbeiten und dass diese Menschen über den ganzen Tag gerechnet im Mittel elf Stunden lang sitzen. Menschen mit Schreibtischjob sitzen laut der Befragung im Durchschnitt 73 Prozent ihrer Arbeitszeit. Aber das ist keineswegs das, was sie wollen. Im Durchschnitt möchten Schreibtischarbeiter nur etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit sitzen, nicht fast drei Viertel. Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule und wissenschaftlicher Leiter des DKV Reports, erklärt es sich so: „Bei vielen gehört das Sitzen einfach zum Arbeitsalltag dazu, es ist Routine und man macht sich kaum Gedanken darüber.“
Die Bürobeschäftigten wünschen sich laut DKV Report mehr Bewegung während der Arbeit. Froböse empfiehlt: „Meetings von kleineren Arbeitsgruppen können gut im Gehen stattfinden. Ob man das dann Walk and Talk Meeting oder Spaziergang nennt, ist Sache der Unternehmenskultur. Zudem kann auch eine neue Büroorganisation behilflich sein, sich mehr zu bewegen und häufiger aufzustehen.“
Das Gesundheitsverhalten der Deutschen hat sich in den vergangenen zwei Jahren verändert, vor allem im Bereich der körperlichen Aktivität: Im Vergleich zu den vorausgegangenen drei DKV Reporten 2010, 2012 und 2014 bewegen sich die Menschen deutlich weniger. In diesem Jahr erreichen nur 45 Prozent der Menschen die Mindestaktivitätsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 150 Minuten Bewegung pro Woche. Bei der Befragung von 2014 waren es noch 54 Prozent. Dabei sinkt vor allem die Aktivität während der Arbeit.
Ungenutzte Fitnessarmbänder
Und noch etwas zeigt der neue DKV Report: Fitnessarmbänder, sogenannte Wearables, haben die in sie gesetzten Hoffnungen, insbesondere Office-Worker in Bewegung zu bringen, enttäuscht. Fast die Hälfte der Menschen, die ein Fitnessarmband besitzen, benutzt es laut der Befragung nicht oder nicht mehr. Gut sechs Prozent der Befragten im Report gaben an, dass sie ein Fitnessarmband besitzen. Diese Menschen sind eher jung, bewegen sich viel und fühlen sich überdurchschnittlich gesund. Drei von zehn Besitzern benutzen das Wearable aber nicht mehr, weitere 16 Prozent haben es noch nie genutzt. Damit verwendet nur gut die Hälfte der Besitzer von Fitnessarmbändern diese Lösungen. Lediglich fünf Prozent ziehen die Anschaffung eines Fitnessarmbandes in Betracht. 89 Prozent der Befragten wollen sich keines kaufen.
Der DKV Report hat auch untersucht, warum so viele Wearables in der Ecke landen. In erster Linie ist den Menschen die Nutzung zu anstrengend (19 Prozent) oder es ging ihnen auf die Nerven (18 Prozent). 15 Prozent fühlen sich von dem Armband nicht motiviert, 15 Prozent empfinden es als überflüssig, zwölf Prozent langweilt es.
Ob daran etwas ändern kann, dass die Techniker Krankenkasse die Nutzung von Fitnesstrackern künftig belohnen will? Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom würde etwa ein Drittel der Nutzer Gesundheitsdaten an Krankenkassen weitergeben, um zum Beispiel Vorzüge zu erhalten. Etwa genauso viele sorgen sich jedoch um dem Schutz ihrer Daten.
Hoffnung für Dauersitzer
Aus Norwegen kam vor Kurzem eine gute Nachricht für Dauersitzer. Forscher um Ulf Ekelund von der Norwegian School of Sport Sciences haben herausgefunden, dass die negativen Effekte von langem, starrem Sitzen komplett ausgleichen kann, wer sich täglich bewegt. Nötig sei dafür lediglich eine Stunde Bewegung am Tag – etwa in Form von gemütlichem Radfahren oder forschem Gehen (ab 5,6 km/h). Dieser Erkenntnis liegt eine Analyse der Daten von mehr als einer Million Menschen weltweit zugrunde, die bei 16 verschiedenen Untersuchungen mitgemacht hatten.
Für die Forscher sind die Ergebnisse klar: Mit zunehmenden Stunden, die jemand Tag für Tag sitzt, steigt das Risiko, frühzeitig zu sterben. Umgekehrt sinkt dieses Risiko mit zunehmenden Minuten, die sich jemand Tag für Tag bewegt. Darüber hinaus analysierten die Forscher erstmals in diesem Umfang, wie sich die Effekte von Sitzen und Bewegung gegenseitig beeinflussen: Wer am wenigsten saß und am meisten Sport trieb, hatte ein 59 Prozent geringeres Sterberisiko als die Teilnehmer, die am meisten saßen und am wenigsten Sport trieben. Das entspreche etwa der Wirkung, die auch Rauchen oder Übergewicht auf die Gesundheit hätten, schreiben die Forscher im Fachblatt „The Lancet“.
Angebrachte Zweifel
2010 hatte ein schwedisches Forscherteam um Elin Ekblom-Bak allerdings noch eine schlechte Nachricht in Bezug auf die Kompensierbarkeit stundenlangen Stillsitzens. Laut ihrer im British Journal of Sports Medicine veröffentlichten Studie kann, wer lange Zeiten im Büro sitzt, die Folgen des damit verbundenen Bewegungsmangels nicht einmal mehr durch Sport in der Freizeit ausgleichen.
MEHR BEWEGUNG Umfassende Informationen zu den Themen Bewegtsitzen und Sitz-Steh-Arbeit bieten die Aktionen „Bewegung im Büro“ und www.büro-bewegung.de. |