Was bedeutet Leadership in unseren Zeiten? Was ist gute Führung? Das weiß New-Work-Experte André Hund. In seiner Kolumne buchstabiert er das Wort „Leader“ durch. In Teil drei geht es um A wie Anerkennung.

André Hund ist Wirtschaftsjurist und kennt die Büromöbelbranche aus dem Effeff. In seiner Kolumne thematisiert der New Work Facilitator bei der work different Training & Consulting GmbH Leadership-Themen vor dem Hintergrund des neuen Arbeitens.
Neulich bei Freunden auf der Terrasse in Limburg. Der Westerwald ist nicht weit entfernt. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern, wie wir auf das Thema kamen. Ob ich den bedeutendsten Sohn des Westerwaldes kenne? Ich hatte eine vage Idee, wer gemeint sein könnte: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Natürlich.
Raiffeisen war in den Jahren 1845–1848 nicht nur Bürgermeister einer Gemeinde im Westerwald. Er war vielmehr jemand, der die Not der Landbevölkerung in jener Zeit nicht gleichgültig hinnahm. Er suchte nach Mitteln und Wegen, die Not zu lindern – aus christlicher Nächstenliebe, ja, aber mit durchaus pragmatischen Mitteln. Sein Ziel: Menschen ihre Selbstachtung und Würde durch wirtschaftliche Unabhängigkeit zurückzugeben. Die Idee der Genossenschaftsbanken ist geboren.
Echte Anerkennung beginnt dort, wo Menschen sich als gleichwertig begreifen, unabhängig von Besitz und Status. Das erkannte Raiffeisen. Die Genossenschaftsidee speist sich nicht aus Mitleid, sondern aus Respekt – und Anerkennung als Mensch. Die Genossenschaften sind ein Raum, in dem Menschen sich gegenseitig wertschätzen und helfen, ihr Leben zu verbessern. Durch Vertrauen und Verantwortung.
In einer Arbeitswelt, die oft schneller urteilt als zuhört, wird eine Ressource zunehmend rar: echte, ehrliche Anerkennung. Dabei ist sie der vielleicht mächtigste Hebel guter Führung. Wer führt, trägt Verantwortung für Menschen. Und Menschen brauchen nicht nur Ziele, sie brauchen Resonanz. Sie wollen gesehen, gehört und gewürdigt werden – nicht nur für ihre Ergebnisse, sondern für ihr Engagement, ihre Haltung, ihren Beitrag zum Ganzen.
Und darum steht es nicht zum Besten. Die emotionale Bindung am Arbeitsplatz erreicht immer wieder ein neues Rekordtief, Dienst nach Vorschrift und geringes Vertrauen in Führungskräfte hingegen sind auf neuen Allzeithochs.
Die jüngsten Zahlen des Gallup-Engagement-Index zeigen, dass regelmäßige Anerkennung einen signifikanten Einfluss auf das Engagement der Mitarbeitenden hat. Spüren sie Anerkennung, sind sie motivierter, loyaler und weniger wechselbereit. Die Wahrscheinlichkeit eines Jobwechsels sinkt um bis zu 56 Prozent, wenn Anerkennung in der Unternehmenskultur verankert ist.
Was sollten Unternehmen tun, um Anerkennung einen prominenteren Platz zu verschaffen?
Erstens: eine wertschätzende Feedback-Kultur etablieren. Feedback ist wie ein Geschenk. Mag die Verpackung auch nicht immer schön sein, kann der Inhalt von großem Wert sein. Kontinuierliche Rückmeldungen zu Leistungen und Fortschritten fördern das Gefühl der Anerkennung. Und damit meine ich nicht, dass jemand Anerkennung verdient, wenn er oder sie morgens pünktlich zur Arbeit kommt oder einfach seinen Job macht. Es gibt genügend Anlässe für anerkennende Äußerungen zu Beiträgen, die Mitarbeitende in ihrer Arbeits- oder Projektumgebung leisten.
Zweitens: Stärken stärken. Eine stärkenorientierte Führung wird noch immer zu oft unterschätzt. Ihren Wert sollten aber gerade Führungskräfte erkennen und fördern. Sie werden belohnt. Mit einem höheren Grad an Engagement und gleichzeitig besseren Arbeitsergebnissen für ihre Organisation. Das bedeutet aber auch, dass Führungskräfte bei sich beginnen sollten, indem sie sich ihrer Stärken bewusst werden.
Drittens: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wohl wahr. Aber man kann schlecht kommunizieren. Eine offene und transparente Kommunikationsstruktur, die soll es sein. Einfach zu etablieren ist sie sicherlich nicht immer, aber sie schafft Vertrauen und fördert die emotionale Bindung.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Anerkennung keine gnädige Beigabe ist. Kein generöses Gehabe. Führung bedeutet in diesem Sinne wahrzunehmen, wofür jemand Anerkennung verdient – und dass sie eine Haltung ist. Wer mit Anerkennung führt, begegnet anderen auf Augenhöhe. Nicht von oben herab, sondern mit echtem Interesse und Respekt. Das braucht manchmal Mut: den Mut zur Offenheit, zur Verletzlichkeit, zur menschlichen Führung. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unseren eigenen kleinen ‚Genossenschaftsschwur‘ leisten – ein Versprechen, gemeinsam Arbeitswelten zu schaffen, in denen jede und jeder zählt.