Meetings dominieren den Arbeitsalltag vieler Wissensarbeiter heute so sehr, dass kaum noch Zeit für die eigentliche Arbeit bleibt. Insbesondere im Homeoffice grassiert Meetingitis in Form von Videocall-Marathons. Wir sprachen darüber mit dem Meeting-Experten Bastian Weickert.
OFFICE ROXX: Herr Weickert, Meetings gehören zum Arbeitsalltag. Aber mittlerweile bestehen die Arbeitstage bei vielen fast nur noch aus diesen. Kennen Sie Zahlen zu dieser Entwicklung?
Bastian Weickert: Gefühlt ist es genau so und Umfragen belegen das. Während der Coronapandemie hat sich die Zahl der Online-Meetings zum Beispiel mehr als verdoppelt. Laut dem Microsoft Trend Index von 2021 sind sie anfangs sogar um knapp 150 Prozent angestiegen. Noch interessanter ist aber, dass wir im Schnitt 43 Prozent aller Meetings bedenkenlos streichen könnten, weil sie entweder keinen Mehrwert für die Teilnehmenden haben oder keine Ergebnisse liefern. Diese Zahl stammt aus einer Studie von Slack aus dem Jahr 2023.
Es wurde schon alles gesagt – nur noch nicht von jedem. Besprechen wir uns zu Tode?
Es werden viel zu viele Meetings einfach mal angesetzt. Und zwar ohne vorher zu überlegen, ob ein Meeting wirklich das richtige Mittel der Wahl ist. So finden wir uns immer wieder in stundenlangen Laberrunden. Gründe dafür gibt es viele. Häufig ist es einfach bequemer, ein paar Kollegen zum Brainstormen hinzuziehen. Außerdem fließt oft zu wenig bis gar keine Zeit in die Vorbereitung eines Meetings. Viel zu selten machen sich die Einladenden Gedanken, warum und zu welchem Zweck die Besprechung stattfinden soll. Die Folge: Es sitzen zu viele Leute und oftmals auch die falschen Leute im Meeting.
Während der Pandemie hat sich das Videomeeting etabliert. Nun sind viele ins Büro zurückgekehrt, die Meetingmarathons am Bildschirm sind aber geblieben. Wie wirkt sich das auf das Wohlbefinden und unsere Gesundheit aus?
Stundenlange Thrombose-Meetings, durchgehend im Sitzen, sind nicht gerade förderlich für unsere Gesundheit. Mediziner warnen seit Langem vor langem Sitzen als neuer Volkskrankheit. Rückenschmerzen, Nackenverspannungen und Kopfschmerzen sind häufig die Folge. So weit nichts Neues. Was hilft: Stehen, gehen, sich bewegen – das sind Aktivitäten, die gesund halten. Und dennoch halten wir Tag für Tag die meiste Zeit unserer Meetings im Sitzen ab. Es fehlt die Bewegung.
Das Hetzen von Meeting zu Meeting, ohne einmal durchzuschnaufen, führt zu einem erhöhten Stresslevel. Aber gerade die Pausen zwischen den Meetings sind essenziell, um auch weiterhin aufmerksam und fokussiert arbeiten zu können. Hinzu kommt das stundenlange Starren auf den Bildschirm. Dies führt zu Belastungen der Augen und fördert Müdigkeit und Kopfschmerzen. Die Zoom-Fatigue oder Videokonferenz-Müdigkeit lässt grüßen.
Inwiefern strengen Videomeetings mehr an als physische Meetings?
Gerade die Onlinemeetings verführen zu einem Übermaß an Multitasking. Es werden nebenbei Mails beantwortet, kurz mal die neuesten Social-Media-Feeds gecheckt oder andere Aufgaben erledigt. Die Aufmerksamkeitsspanne wird dabei immer geringer. In diesem Zusammenhang gibt es interessante Studienergebnisse der Universität Ulm (Montag et al. 2022). Zum Beispiel, dass gerade bei Menschen mit Tendenz zu emotionaler Instabilität und negativen Emotionen eine Mehrzahl an Online-Meetings das Risiko für Burnout- und Depressionssymptome erhöhen kann. Um dem Ganzen vorzubeugen, können bereits wesentlich kürzere Meetings und längere Pausen zwischen den einzelnen Meetings helfen.
Sie empfehlen, den jeweils zum Anlass passenden Meeting-Typ zu wählen. Welche Typen unterscheiden Sie?
Bei uns geht Effektivität vor Effizienz. Das bedeutet, dass erst klar sein muss, warum und zu welchem Zweck das Meeting angesetzt werden soll. Wenn ich das weiß, kann ich auch ein entsprechendes Format für das Meeting auswählen, was auch effizient auf das Ziel einzahlt.
Wir haben eine Meetingmatrix entwickelt, in der wir fünf Meetingtypen unterscheiden, die circa 90 Prozent aller Meetings abdecken dürften: das Sync-Meeting (gemeinsamer Austausch und Synchronisation), das Problem-Meeting (gemeinsam das Problem verstehen), das Lösungs-Meeting (gemeinsam Ideen und Lösungen generieren), das Entscheidungs-Meeting (gemeinsam Entscheidungen treffen) und die Retrospektive (Zusammenarbeit reflektieren). Die restlichen zehn Prozent sind etwa 1:1-Meetings mit der Führungskraft. Die haben wir in unserer Meeting-Matrix bewusst außen vorgelassen, da unser Fokus auf Zusammenarbeit in Meetings liegt.
Welche Tipps haben Sie für gelingende Meetings?
Klingt erst mal komisch, aber mein erster Tipp lautet: Sag dein Meeting ab oder setz es erst gar nicht an. Und zwar immer dann, wenn es um eine reine Informationsweitergabe geht. Da gibt es heutzutage bessere Wege, die die Kollegen auch nicht an Ort und Zeit binden.
Ein gutes Meeting erkennt man schon, bevor es angefangen hat. Es wird eine aussagekräftige Einladung inklusive Agenda verschickt. So weiß jeder, was ihn erwartet. Man kennt Ziel und Zweck des Meetings. Es muss auch nicht immer das klassische 30/60-Minuten-Meeting sein. Es darf ruhig mal kürzer sein. Wer das Parkinsonsche Gesetz kennt, weiß, dass sich Zeit in dem Maße ausdehnt, wie sie zur Erledigung der Aufgabe zur Verfügung steht.
Es sollten ausreichend Pausen eingeplant werden. Ich bin ein großer Fan davon, Meetings zum Beispiel von 9:10 bis 9:45 Uhr einzustellen. Damit sorge ich dafür, dass alle pünktlich sind und danach noch genügend Zeit haben, bevor ein neues Meeting beginnt. Was im Meeting auf keinen Fall fehlen darf, ist eine Moderation, die dafür sorgt, dass das Ziel im Auge behalten wird und unnötige Diskussionen unterbunden werden. Auch hier empfehle ich striktes Zeitmanagement. Der wohl wichtigste Hack, der für nahezu alle Meetings gilt: Niemand verlässt den (virtuellen) Raum, bevor nicht klar ist, wer was bis wann macht.
Ich mag es außerdem, frischen Wind in Meetings zu bringen: sie auch mal in der Teeküche im Stehen, im Freien oder sogar im Gehen abzuhalten. Das ist nicht nur gesund, sondern sorgt auch für neue und frische Gedanken.
Welche Alternativen gibt es denn zum Meeting?
Viele Meetings werden angesetzt, um reine Informationen weiterzugeben. Ich bin der Meinung, dass wir heutzutage Informationen über andere Kanäle eleganter und effizienter verteilen können. Und zwar unabhängig von Uhrzeit und Aufenthaltsort der Empfänger. Da kommen die Vorteile der asynchronen Kommunikation und Zusammenarbeit ins Spiel. Das kann zum Beispiel eine einfache Mail sein, ein kurzes Video im Intranet, eine Sprachnachricht in der Teams-Gruppe, ein geteiltes Foto im Slack-Kanal oder eine Präsentation zum Download im Sharepoint. Selbst ein einfacher One-Pager, also eine Zusammenfassung auf einer einzigen DIN-A4-Seite, ist oft sinnvoller als ein Meeting.
Hier gilt die Faustformel: Je komplexer der zu vermittelnde Inhalt, desto komplexer sollte auch das gewählte Medium sein. Das bedeutet, dass für leicht verständliche Informationen ein Fließtext in der E-Mail reicht. Wenn beispielsweise technische Details oder komplizierte Wirkungszusammenhänge dargestellt werden sollen, helfen Bilder oder kurze Videos.
Welche Meetingtools empfehlen Sie?
Die meisten Firmen setzen für ihre Online-Meetings in der Regel auf MS Teams oder Zoom. Es gibt Alternativen wie Webex oder auch Google Meet. Ich möchte aber keine pauschale Empfehlung abgeben, denn die Auswahl des richtigen Tools sollte immer auf Basis der entsprechenden Arbeitsweise und den damit einhergehenden Anforderungen getroffen werden.
Was ich allerdings wirklich für die asynchrone Weitergabe von Informationen empfehlen kann: Powerpoint-Videos. Hier lässt sich mittlerweile wirklich sehr einfach ein vertontes Video der eigenen Slides erstellen. Das Video stelle ich dann etwa per Teams zur Verfügung, zum Beispiel, wenn ich ein neues Konzept erklären möchte und um kurzes Feedback bitte. Dafür braucht es dann kein eigenes Meeting.
Wie halten es erfolgreiche Firmen mit den Meetings?
Natürlich kann man von erfolgreichen Firmen auch etwas für seine eigenen Meetings und die eigene Meetingkultur lernen. Jeff Bezos beispielsweise verbannt Powerpoint-Präsentationen aus seinen Meetings und setzt stattdessen auf klare, sechsseitige Meetingmemos. Die Teilnehmenden haben vor dem Beginn des Meetings 30 Minuten Zeit, das Dokument schweigend zu studieren. Er betont, dass gut vorbereitete Meetings erfolgreicher sind. Die Memolänge zwingt zu klaren Gedanken und ermöglicht echte Meinungsäußerungen.
Zudem lässt Bezos „rangniedrigere“ Teilnehmende zuerst sprechen, um unbeeinflusste Meinungen zu fördern. Er glaubt, dass die besten Ideen aus unterschiedlichen Denkweisen entstehen. Entgegen herkömmlichen Tipps ignoriert er strikte Zeitpläne und setzt auf längere Meetings für effektive Fragestellungen. Außerdem ist er ein großer Verfechter der Zwei-Pizza-Regel. Er begrenzt die Teilnehmenden auf eine Anzahl, die von zwei Pizzen satt wird.
Sam Altman hingegen, CEO von OpenAI, ist kein großer Freund von Meetings. Er hält 90 Prozent der regellosen Meetings, an denen er teilnimmt, für reine Zeitverschwendung. Stattdessen setzt er auf fokussierte Arbeit, die er für wesentlich wertvoller hält. Vor allem vormittags. Dort ist er am produktivsten. Und wenn es doch mal ein Meeting sein soll, dann vorzugsweise am Nachmittag. Zu der perfekten Meetinglänge hat er auch eine Meinung. 15 bis 20 Minuten oder zwei Stunden hält er für ideal. Es gibt sogar ein Memo von Steve Jobs, in dem er Meetings als einen der Top-Produktivitäts-Killer bezeichnet: „Meeting-Tag = Tag verschwendet“.
Auf Ihrem Blog gibt es die Artikelüberschrift „Warum Meetingregeln leider nichts bringen“. Was hat es damit auf sich?
Wir erleben bei neuen Kunden oft, dass sich bereits im Vorfeld schon viele Leute Gedanken gemacht haben, wie gute Meetings funktionieren. Es wurden Meetingregeln aufgestellt, aber niemand scheint sich an sie zu halten. Aus unserer Sicht liegt das explizit nicht an der Qualität der Regeln. Die Regeln sind in den allermeisten Fällen klug ausgewählt. Sich an Meetingregeln zu halten ist ein bisschen wie Zahnseide zu nutzen. Jedem ist klar, dass es sinnvoll wäre, es zu tun. Aber kaum jemand machts.
Organisationen sind komplexe, lebende Ökosysteme. Deswegen gibt es nicht die eine Lösung, die für alle passt. Nicht jeder Bereich tickt gleich. Eine F&E-Abteilung arbeitet anders als HR. Jedes Team und jeder Bereich hat eine eigene Meetingkultur. Bei den Regeln handelt es sich meist um die One-size-fits-all-Lösung. Und das funktioniert eben nicht. Außerdem sind wir Menschen kleine Gewohnheitstierchen. Selbst minimale Veränderungen kosten uns Energie. Vor allem dann, wenn wir nicht sofort einen echten Nutzen erkennen können. Bei manchen Meetingregeln stellt sich die Veränderung erst nach dem zweiten oder dritten Meeting ein. Außerdem lassen wir uns ungern von einem Tischaufsteller oder Meetingmemo bevormunden.
Ein anderer Beitrag heißt „Die sieben Kultursünden, die sich in Meetings zeigen“ …
Zeig mir deine Meetingkultur und ich sage dir, wie es um deine Unternehmenskultur steht. Die Meetingkultur ist ein Spiegelbild der Unternehmenskultur. Und die ist eben nicht immer positiv. In stark hierarchisch geprägten Unternehmen sieht man zum Beispiel häufig Machtgehabe. Ich habe erlebt, wie Leute vor versammelter Mannschaft rund gemacht wurden. Ganz getreu dem Motto „Ober sticht Unter“. Neben Machtmissbrauch lassen sich auch kulturelle Klassiker wie Informationshortung, die Angst, etwas zu verpassen, Kontrollwahn bis hin zu Gleichgültigkeit und Entscheidungsdiffusion beobachten.
Wie sind Sie darauf gekommen, zum Thema Meeting zu beraten?
Tatsächlich war mein eigener Leidensdruck sehr, sehr hoch. Ich war jahrelang Projektmanager in einem großen Dax-Konzern und habe wahnsinnig viel Lebenszeit in Meetings verbracht. Ich muss dazu sagen, dass ich ein großer Fan von Meetings bin – wenn sie denn gut gemacht sind. Aber es gab leider viel zu viele Meetings, die es eigentlich gar nicht gebraucht hätte. Wenn du bereits am Sonntagabend Bauchweh bekommst beim Blick in den Kalender für die nächste Woche, dann läuft irgendwas falsch. Ich war das Kalender-Tetris irgendwann leid. Und ich war überzeugt, dass es doch auch ganz anders gehen müsste. So kam die Idee mit der eigenen Unternehmung, Meetings und vor allem die gesamte Meetingkultur in Unternehmen besser und gesünder zu machen.
Was bietet Neue Meetingkultur konkret an?
Neben Keynotes bieten wir ein regelmäßiges Live-Online-Training (Webinar) sowie Workshop-Formate und Ausbildungen zum Meetingmoderator an. Darüber hinaus begleiten wir Teams und Organisationen dabei, ihre Meetingkultur auf ein neues Level zu heben. Denn Meetingzeit ist Lebenszeit. Und die ist viel zu kostbar, als sie in unnötigen Meetings zu vergeuden.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.