Viele Office-Worker arbeiten heute hybrid, sicher auch in Zukunft. Aber was ist Hybrid Working eigentlich genau, wie entwickelt es sich, was sind Pros und Cons? Robert Nehring gibt einen Überblick.
Hybrid Working – das Thema könnte aktueller kaum sein. Das Homeoffice hat sich als Alternative zum Corporate Office etabliert. Es ist gekommen, um zu bleiben. Nicht nur, weil uns die Pandemie noch erhalten bleibt, es bald zu kalt und immer öfter zu heiß sein könnte im Büro. Viele haben sich einfach an die Heimarbeit gewöhnt, manche haben sie richtig lieb gewonnen und einige bekommen keine zehn Pferde mehr aus den eigenen vier Wänden. Daran scheint selbst das Ende der Homeoffice-Pflicht im März dieses Jahres nicht viel geändert zu haben.
Auch künftig arbeiten wir also hybrid, und zwar sowohl im Corporate Office als auch im Homeoffice sowie an sogenannten dritten Orten wie Coworking Spaces und Cafés, Bahnabteilen und Bibliotheken. Aber Hybrid Working ist ein weites Feld. Deshalb ein kurzer Überblick.
Das Kind braucht einen Namen
In Bezug auf die Begrifflichkeiten geht es bei der Thematik etwas durcheinander. Es herrscht ein ziemlicher Begriffssalat aus Homeoffice, hybrider, flexibler, mobiler sowie multilokaler Remote-Arbeit.
Hybrid bedeutet eigentlich „zweierlei“, wie die beiden unterschiedlichen Antriebe eines Hybridmotors. Unter dem Hybridmodell in der Arbeitswelt wird entsprechend im engeren Sinne der Wechsel von Office und Homeoffice verstanden. Hybrid kann aber auch für Verschiedenartiges stehen. Und tatsächlich meint hybrides Arbeiten im weiteren Sinne den Mix aus Office, Homeoffice und sogenannten dritten Orten. Hybrides Arbeiten ist also im Grunde flexibles Arbeiten.
Es wird in diesem Zusammenhang auch oft von mobiler Arbeit gesprochen. Das Arbeitsministerium schraubt an einem Mobile-Arbeit-Gesetz etc. Zuletzt war damit allerdings meist immobile Arbeit gemeint, nämlich möglichst im Homeoffice zu bleiben.
Für manche stellt mobile Arbeit auch nur ein neues Wort für den angestaubten Begriff Telearbeit dar. Telearbeit ist aber definiert als dauerhafte Heimarbeit, mobile Arbeit als nur temporäre. Und das hat rechtliche Konsequenzen: Für den Telearbeitsplatz ist der Arbeitgeber verantwortlich, für den mobilen Arbeitsplatz nicht. Denn nur am Telearbeitsplatz gilt die Arbeitsstättenverordnung.
In der Immobilienbranche wird mobile Arbeit übrigens hier und da gern multilokale Arbeit genannt. Das hat den Vorteil, dass man dabei nicht zuerst an das Arbeiten während des Reisens denkt.
Beim hybriden Arbeiten geht es um Wissensarbeit – im Gegensatz zur Arbeit in der Produktion oder im Dienstleistungssektor, bei denen sich die Frage nach dem Homeoffice in der Regel gar nicht stellt. Und diese Wissensarbeit ist heute fast immer Bildschirmarbeit.
Wir bei OFFICE ROXX sagen zu der Arbeit, die einst fast ausschließlich im Büro gemacht wurde, übrigens auch weiterhin Büroarbeit. Denn Büroarbeit ist kein Ort, sondern meint Tätigkeiten. Wo ich diese erledige, ist nachrangig. Das Büro ist eben überall: Corporate Office, Homeoffice, Coworking Office, Hotel Office etc.
Hybrid Working: eigentlich nichts Neues
Wussten Sie, dass hybrides Arbeiten im Grunde gar nichts Neues ist? Klar: USA, Großbritannien, Skandinavien, Benelux und viele weitere sind uns auch hier weit voraus. Und natürlich haben selbst in Deutschland schon viele vor 2020 überwiegend zu Hause gearbeitet, insbesondere Berater, Kreative, Programmierer – vor allem Selbstständige bzw. Freelancer.
Aber im Grunde arbeiteten viele Wissensarbeiter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ganz selbstverständlich am heimischen Schreibtisch, in Cafés, Bibliotheken – und in noblen Herrenklubs. Das waren nicht nur Gelehrte, sondern zum Beispiel auch Kaufleute. Erst mit der Industriellen Revolution entstand eine weitgehende Trennung von Wohn- und Arbeitsort.
Homeoffice: Entwicklung in Zahlen
Im Februar 2020 zählten laut einer Umfrage im Auftrag des Büroeinrichtungsverbandes IBA 71 Prozent der Beschäftigten in Deutschland zu den Office-Workern. Das waren 32 Millionen.
Vor der Pandemie lag der Anteil der Homeworker an den Gesamtbeschäftigten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei relativ konstanten zwölf Prozent. Manche konnten nicht daheim arbeiten, manche durften nicht. Aber manche wollten auch nicht, obwohl sie durften.
Umfragen zum Homeoffice-Anteil gibt es seit 2020 wie Sand am Meer. Die Ergebnisse gehen teilweise weit auseinander. Sicher scheint, dass der Anteil 2020 steil nach oben geschossen ist und demgegenüber 2021 noch einmal zunahm. Seit Mitte 2021 liegen wir Studien zufolge im Schnitt bei etwa einem Viertel aller Beschäftigten in Deutschland, die regelmäßig im Homeoffice arbeiten.
Im Februar 2022 soll laut Bitkom zwar sogar die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland im Homeoffice beziehungsweise mobil gearbeitet haben. Aber der Digitalverband erreicht bei seinen Homeoffice-Umfragen traditionell Spitzenwerte. Vom 11. bis 15. März 2020, also kurz vor dem ersten Lockdown, sollen es auch schon 49 Prozent gewesen sein.
Und dann stellt sich natürlich immer die Frage nach der Zukunft. Auch hier erreicht der Bitkom Bestwerte: 88 Prozent wollen zumindest gelegentlich im Homeoffice arbeiten, 80 Prozent aber auch im Einzelbüro und 69 Prozent im Mehrpersonenbüro. Da ist es schwer zu sagen, was die Beschäftigten wirklich wollen. Ein weiterer Spitzenwert wurde im Auftrag von Cisco ermittelt, die ja auch ein Webmeetingtool anbieten: Hier sollen es nur 16 Prozent sein, die wieder ausschließlich ins Büro wollen.
Zwar sind die genannten Ergebnisse repräsentativ. Dennoch sollten sie mit Vorsicht genossen werden. Zum einen scheinen sie oft etwas interessegeleitet. Zum anderen dürften sicher auch die Fragen, wie lange man überhaupt gern arbeiten und wie viel Geld man gern verdienen möchte, sehr hohe Werte ergeben.
Vorteile der Heimarbeit
Das Homeoffice bietet so einige Vorteile, zum Beispiel kann es bedeuten,
- nicht mehr pendeln zu müssen, was Zeit, Nerven und Emissionen spart,
- insgesamt weniger Stress zu haben,
- von einer freieren Zeiteinteilung zu profitieren sowie
- Beruf und Familie (oder Freizeit) besser vereinbaren zu können.
Herausforderungen im Homeoffice
In der Realität sieht das aber oft ganz anders aus. Viele klagen über
- eine auf Dauer geringere Produktivität, etwa durch all die häuslichen Ablenkungen,
- mehr Stress, etwa wenn neben einem die Kinder spielen und/oder die Tage nur noch aus Videomeeting-Marathons bestehen,
- soziale Isolation sowie
- eine schlechtere psychische und physische Gesundheit.
In Bezug auf die Gesundheit klangen einige Feststellungen in der Vergangenheit durchaus lustig. Jedoch gibt es hier einen ernsten Hintergrund. 2021 machte zum Beispiel dieser Witz die Runde: „Wie lange bist du schon im Homeoffice?“ Antwort: „5 Kilo.“ Tatsächlich sollen einer Forsa-Umfrage im April 2021 zufolge 40 Prozent der Deutschen in der Pandemie zugenommen haben, im Schnitt 5,6 kg. Eine andere Forsa-Umfrage – im Auftrag des TÜV – kam im Februar dieses Jahres zu diesen Ergebnissen: 30 Prozent fühlen sich in Homeoffice und bei mobiler Arbeit isoliert. 37 Prozent haben im Homeoffice aufgrund von Bewegungsmangel zugenommen. Und eine Umfrage der Initiative „Bewegung im Büro“ unter Lesern unseres Büroblogs OFFICE ROXX im Mai 2022 ergab: 61 Prozent der 2.302 Teilnehmenden bewegen sich daheim noch weniger als im Büro. In der gleichen Umfrage von Mai 2021 waren es „nur“ 59 Prozent.
In jedem Fall war die Homeoffice-Euphorie der ersten Pandemiemonate schnell verflogen. Schmetterlinge hatte bald kaum noch jemand im Bauch. Es stieg die Sehnsucht nach den Kollegen, Small Talk in der Büropause, nach optimalen Arbeitsbedingungen sowie einer Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Immer öfter wurden die negativen Folgen thematisiert. Seitdem sprechen wir von Homeoffice-Blues und Zoommüdigkeit, von einem schwindenden Teamgefühl, sinkender Motivation, geringerer Bindung zum Unternehmen und Bedenken in Bezug auf eine Beförderung.
Kein Wunder also, dass es auch kritische Stimmen zum dauerhaften Homeoffice-Betrieb gibt, zuletzt sogar vermehrt innerhalb der sogenannten New-Work-Bubble. Schon Ende 2020 hielt zum Beispiel Adidas-Chef Kasper Rorsted gar nichts davon. Arbeiten sei eine „soziale Sache“ und bei Adidas „Teamsport“. Zu Hause entstehe aber keine Gemeinschaft. Er frage sich, ob „dieses Modell menschlich sinnvoll“ sei und die Konsequenzen vielleicht „völlig unterschätzt“ werden.
In einem Interview mit Die Zeit sagte der Unternehmer Stefan Wüst im März dieses Jahres zur Situation in seinem mittelständischen Ingenieurunternehmen: „Als wir im ersten Lockdown ins Homeoffice gezwungen wurden, haben sich leider die Low-Performer geoutet, die irgendwo im Team noch mitschwimmen konnten, aber deren Leistung zu Hause dann praktisch gegen null gegangen ist.“ Laut Wüst schaffen sie in einer Woche, was der Praktikant am ersten Tag hinbekommt. Und auf die Frage nach einem Rechtsanspruch auf Homeoffice antwortet er: „Dann bräuchte ich garantiert 50 Prozent mehr Leute, weil die Effizienz leiden würde.“ Auch solche Aussagen gehören sicher zur Wahrheit dazu.
Office-Pioniere zum Homeoffice
2020 bzw. 2021 haben wir zwei Sammelbände zur Zukunft der Büroarbeit veröffentlicht. 126 renommierte Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft geben als „OFFICE PIONEERS“ interessante Ausblicke auf das Büro 2030. Die insgesamt 94 Beiträge stammen unter anderem von Politikern, Experten, Verbänden, Herstellern, Beratern, Architekten. Natürlich ist in diesen Bänden auch das Homeoffice ein großes Thema. Häufig wird davor gewarnt, es zum dauerhaften Arbeitsort zu machen, insbesondere bei kleinem City-Apartment mit Homeschooling. Es wird immer wieder betont, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das einen persönlichen Austausch mit Kollegen und Kunden benötigt sowie sehr von einer authentischen Arbeitsatmosphäre profitiert. Dr. Alexandra Hildebrandt brachte es auf den Punkt: „Home-Office macht eigentlich nur dann Spaß, wenn man es freiwillig tut und auch nicht ständig.“
In Band zwei wird dieser Aspekt aufgrund der längeren Erfahrung mit weitverbreiteter Heimarbeit noch deutlicher. Sehr prägnant beschrieben wird er von Marc-Sven Kopka, Vice President der NEW WORK SE: Dauerhafte räumliche Trennung sei „ein bisschen wie bei einem Motorflugzeug, dessen Triebwerke in großer Höhe ausfallen: Es kann noch eine ganze Zeit lang gleiten. Erstaunlich lange. Doch irgendwann werden die Triebwerke besser wieder angeschaltet, sonst gibt es ein Unglück.“
Hybrides Arbeiten: Mein Fazit
Büroarbeit wird hybrid bleiben und multilokaler sein. Das Homeoffice gehört zum New Normal. Im Schnitt landen wir vielleicht einmal bei einem mobilen und einem Homeoffice-Tag pro Woche. Dann blieben drei Tage fürs Büro. Homeoffice und mobiles Arbeiten haben aber nicht nur Vorteile. Die Herausforderungen gilt es zu meistern.
Büros sind nicht vom Aussterben bedroht. Headlines wie „Das Ende des Büros“ oder „Tod der Bürotürme“ sind komplett verfehlt. Weniger Flächenbedarf durch Homeoffice könnte auch durch mehr Flächenbedarf für größere Begegnungszonen und mehr Abstand im Office kompensiert werden.
Hybrides Arbeiten sollte individuell geregelt werden und es sollten immer beide Seiten dabei ein gutes Gefühl haben. Ein uneingeschränkter rechtlicher Anspruch ist realitätsfern. Dann sollte es auch einen rechtlichen Anspruch auf einen Arbeitsplatz im Büro geben.
Büro ist heute überall da, wo man das tut, was man früher fast nur im Büro tat. Aber innerhalb dieser Freiheit muss jeder sein eigenes Erfolgsrezept finden.
|