In letzter Zeit sprechen Führungskräfte immer wieder von der Dringlichkeit, ihre Institutionen durchzulüften. Fenster und Türen sollen geöffnet werden, um frische Luft hereinzulassen. Selbst DFB-Präsident Grindel betont, mehr Transparenz und keine Abschottung zu wollen.
Viele Organisationen, die sich jahrelang nicht verändern mussten, weil das System ja funktionierte, stehen vor einer enormen Herausforderung. Sie müssen den Sprung ins Digitalisierungszeitalter schaffen, weil sie sonst im Wettbewerb nicht bestehen können. Die symbolische Öffnung des Fensters steht für das Hereinlassen der Welt - und weckt die Hoffnung auf eine andere Zukunft mit frischem Wind.
Durchlüften hilft, wenn innen die Organisationshygiene stimmt
Eine Organisationskultur lässt sich nicht von heute auf morgen verändern. Vor allem Großorganisationen haben feste Strukturen, die der Dynamik des Wandels naturgemäß entgegenstehen. Um sich den aktuellen Entwicklungen anzupassen, braucht es eine nachhaltige Symbiose zwischen Ordnung und kreativer Zerstörung. Eine integrale Sicht (Helikopterperspektive) ist vonnöten, weil nur dadurch Einzelergebnisse und Betrachtungen zugeordnet werden können, ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren.
Gewiss sind offene Bücher (von denen auch der DFB-Präsident spricht) eine notwendige Voraussetzung für die Transparenz einer Organisation. Doch was ist mit den alten Verhaltensmustern, Gewohnheiten und Normen, die das Wesen tayloristischer Systeme prägen? Hier hat sich eine hinderliche Überregulierung eingeschlichen, die sich in umständlichen bürokratischen Abläufen, Gewohnheiten und Anforderungen zeigt: hierarchische Berichtswesen, Funktionen und Zuständigkeiten dominieren Inhalte und Aufgaben.
Mief und Macht - wenn Organisationen nicht durchgelüftet werden
Es ist vielfach erwiesen, dass sich Menschen systemkonform („schwarmdumm“) verhalten, wenn das System falsch ist. Da Organisationen jedoch „menschengemacht“ sind, besteht Hoffnung, dass sie auch verändert und an die Gegenwart angepasst werden können.
Der US-amerikanische Ethnologe David Graeber zeigt in seinem Buch „Bürokratie“, dass bürokratische Institutionen stets eine Kultur der „Komplizenschaft“ hervorbringen, die selten neutral ist. Prof. Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen spricht im VW-Kontext sogar von „bandenmäßiger Kriminalität“. Fast ausnahmslos sind solche Systeme von privilegierten Gruppen dominiert, weil einzelnen Mitgliedern der Verwaltung zu große persönliche Machtbefugnisse zugestanden werden. Durch Bürokratie geschaffene Macht führt „zu einer Form institutionalisierter Trägheit“.
DIe Notwendigkeit von frischem Wind in Unternehmen
Es ist bedenklich, dass gerade jene Organisationen auf alte Kontrollmechanismen setzen, die ein gravierendes Vertrauensproblem haben. Sie festigen das System der Kontrolle von oben. Der DFB oder VW sind keine Einzelfälle. Auch in anderen bürokratischen Organisationen scheinen „keine direkt Verantwortlichen gefunden zu werden“, weil sie organisatorisch so aufgestellt sind, dass kaum jemand persönliche Verantwortung trägt.
Wo solche Systeme herrschen, werden erwachsene Menschen unmündig, weil sie reine Regel- und Anweisungsempfänger sind. Dazu gehört beispielsweise die Genehmigung eines Vorgesetzten bei einfachen alltäglichen Entscheidungen. Teure Fehler sind hier häufig mit noch teureren Kontrollsystemen verbunden: noch mehr Regeln, noch mehr Compliance … - noch mehr Bürokratiekosten.
Lebende Systeme kontrollieren sich in Beziehungsnetzen selbst, wodurch die dezentrale Verantwortung gefördert wird.
Literatur:
Alexandra Hildebrandt: CSR-Manager gesucht! Ein Berufsbild zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.
Alexandra Hildebrandt: Wie Nachhaltigkeit in die Köpfe des Fußballs kommt. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.
David Graeber: Bürokratie. Die Utopie der Regeln. J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart 2016.
Zur Autorin:
Dr. Alexandra Hildebrandt, (Foto: Steffi Henn) |