Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt und KI-Experte Clemens Wasner werfen ihre Ideen in den Ring, unter anderem zur Zusammenarbeit von natürlicher und künstlicher Intelligenz. Im Interview skizzieren sie das Spektrum der Möglichkeiten.
OFFICE ROXX: Frau Gebhardt, Herr Wasner, wie funktioniert Zusammenarbeit zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz?
Birgit Gebhardt (BG): Da gibt es dann so ein gesprächiges Interface, und damit hoffen alle, alles zu können. Wissen wird zugänglich und Werkzeuge auch. Über die Chatfunktion werden Software und Tools, für die man heute noch eine Ausbildung braucht, händelbar. Die Ergebnisse sind zwar nicht die gleichen wie die eines Profis, aber genügen vielfach dem Beta-Niveau, um erst einmal weiterzukommen.
Clemens Wasner (CW): Ich denke, dass die Chatfunktionen der Large Language Models (LLMs) zwar inkrementell besser werden, aber die Kostendurchbrüche bereits stattgefunden haben. Heißt, sie werden dennoch nur etwa eine 80 Prozent Version von einem Werbetext oder einem Report liefern können, und die restlichen 20 Prozent musst Du als Mensch dazugeben. Das richtige Aufsetzen, Datenzuweisen (Annotieren) und Prompten der KI sind dabei ein Teil unserer Arbeit, um von der 80 Prozent KI-Erledigung profitieren zu können. Und die 20 Prozent Bearbeitung des Outputs sind dann das, was Fachkundige am Ende – quasi in der Postproduktion – noch beschäftigen wird.
Wie arbeiten transdisziplinäre Teams, wenn Fachwissen und Formate ad hoc verfügbar sind?
BG: Schneller und ungeduldiger. Laut einer schwedischen Studie kommen die Fachkräfte schon KI-aufgeschlaut in den Workshop und verwenden dort mehr Zeit auf die Lösungsschritte und das Prompten, aber weniger für das gemeinsame Reinbohren in die Inhalte. Wer länger braucht, um auf gute Gedanken zu kommen, hat gegen die Ad-hoc-Antworten der KI kaum eine Chance. Aber dadurch, dass sie den Lösungsweg anhand der Zwischenergebnisse immer wieder justieren müssen, lernen die Beteiligten aus den Fragestellungen und methodisch viel voneinander.
CW: Ja, und da heißt es, die Daten und ihre Vergleichbarkeit richtig einschätzen zu können: Im Sales-Forecast sehe ich zum Beispiel sehr gute Ergebnisse mit KI, wenn ich valide Zahlen zum deutschen Markt haben möchte. Aber wenn ich nach dem indischen Markt fragen würde, ließe sich das eben nicht einfach mit KI und indischen Daten übersetzen. Vor einigen Jahren gab es zwischen indischen Provinzen teilweise noch Zölle etc. Man bräuchte dafür nach wie vor Research, Trade-Experten und am besten Locals.
BG: Solch ein Lernfortschritt könnte dann aber im Unternehmen durch KI festgehalten werden und mit entsprechenden Inhalten, Bezügen, Updates von Kollegen oder dem Unternehmen ergänzt werden.
CW: Das dürfte datenschutztechnisch noch eine Herausforderung für die EU sein und auch technologisch wird da bei Co-Pilot und Chat GPT noch viel halluziniert, aber wenn einmal die Datenablage mit der Arbeitsfläche verschmilzt, ist das organisationsübergreifend natürlich eine Superpower. Bis dahin könnte man Informationsflüsse im Unternehmen anonymisiert von Personen, aber bezogen auf Funktionen oder Abteilungen messen und anhand von Heatmaps oder Downloads feststellen, wo viel oder zu wenig Traffic stattfindet und dem dann direkt nachgehen.
Und wie müssten sich unsere Arbeitswerkzeuge und Umgebungen ändern, wenn Kommunikation intuitiv und nahtlos funktioniert?
BG: Wenn mit KI das relevante Wissen in der Cloud verfügbar ist und sich Informationen demnächst als erweiterte Realität in unser Sichtfeld schieben, dann erleben wir, dass die Arbeitsmittel das Büro längst verlassen haben und stattdessen direkt an unsere Wahrnehmungsorgane andocken. Das erhöht unsere Interaktionskompetenz und Effizienz. Ich bin mir aber sicher, dass genau das auch physische Orte vermögen, denn es waren und sind die essenziellen Erfahrungen mit der Umwelt, die unsere Intelligenz wachsen lassen. Wir sollten daher in den Büros unsere Präsenz und Interaktion stärker multisensorisch erlebbar machen.
CW: Wir kommen hier im Start-up recht häufig im Büro zusammen, weil die physische Nähe eine stärkere Energie erzeugt. Ich denke auch, dass es eine gewisse räumliche Dichte braucht, um Serendipität zu erzeugen und ich glaube auch, dass man auf diesen Funkenschlag nicht warten, sondern ihn baulich provozieren sollte.
BG: Das ist die derzeitige Hoffnung für sogenannte „Multi-Use-Flächen“, wo man – aufgrund von Homeoffice – Büroraum so stark zusammengestrichen hat, dass jetzt das aktivitätsbasierte Arbeiten auf einer variablen Fläche anstatt in extra ausgestatteten Räumen stattfinden soll. Ich bezweifle aber, dass die Nutzer extra umräumen und das Facility-Management ihnen den individuellen Zugriff gewährt, um atmosphärisch einen Unterschied zu spüren. Die Flexibilität für beide Seiten wird erst mit responsiven Umgebungen wie Cognitive Environments möglich sein.