Prof. Dr. Heike Bruch gehört zu den erfolgreichsten Frauen der Schweiz. Wir sprachen mit der Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen über Homeoffice, New Work und die Beschleunigungsfalle, in welche wir so schnell geraten.
Frau Professorin Bruch, im Sommer 2022 ist eine Trendstudie der Universität St. Gallen zum Thema Homeoffice erschienen, an der Sie maßgeblich beteiligt waren. Wie ist es um die Gesundheit und Leistung der Home-Worker bestellt?
Prof. Dr. Heike Bruch: Unsere Analysen haben gezeigt, dass nur 26 Prozent der Mitarbeitenden im Homeoffice Außergewöhnliches leisten und dabei auch gesund sind. Ein Drittel der mobil Arbeitenden ist zwar gesund, zeigt jedoch nur mittelmäßige Leistung und alarmierende zwölf Prozent zählen zu den Hochleistern, die gesundheitlich am Limit sind. Ziel sollte es sein, sowohl Leistung als auch Gesundheit zu fördern. Homeoffice funktioniert nur, wenn es in eine entsprechende Kultur eingebettet ist und Führungskräfte die Mitarbeitenden entsprechend auch emotional fördern.
Was zählt zu den größten Herausforderungen bei der Arbeit zu Hause?
Eine der Gefahren ist Isolation. Durch die fehlende tägliche Interaktion mit Kollegen kann das Gefühl entstehen, einsam und von der Organisation abgeschnitten zu sein. Auch Erschöpfung ist ein Thema: Reine virtuelle Kommunikation und das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit können Mitarbeitende vermehrt erschöpfen und belasten. Vor allem, wenn Technostress dazu kommt. Menschen mit erhöhtem Technostresserleben fühlen sich leer, müde oder emotional erschöpft. Auf der Leistungsseite können Innovationsprozesse erschwert werden, sobald spontane Gespräche oder kreative Workshops im Büro zu kurz kommen. Und schließlich kann auch der Zusammenhalt leiden, insbesondere wenn mobiles Arbeiten nur einem Teil der Mitarbeitenden ermöglicht wird.
Was empfehlen Sie Unternehmen zur Umsetzung von Hybrid Working?
Zum einen ist ein sichtbares Commitment des Top-Managements notwendig, zum anderen müssen Hybrid-Work-Purpose und -Spielregeln gemeinsam entwickelt werden. Es muss exploriert und experimentiert werden, bevor ein Roll-in startet. Wichtig dabei ist, dass alle zum Hybrid Way of Work empowert werden. Wirklich wirksam wird hybrides Arbeiten allerdings erst, wenn jedes Team eine Team-Charta zum Umgang mit Ort, Zeit und Kommunikationskanälen definiert.
Halten Sie ein Recht auf Homeoffice für sinnvoll?
Nein, das ist nicht sinnvoll. Allerdings wird eine Freiheit bezogen auf die Wahl von Ort und Zeit normal werden. Nicht unbegrenzte Freiheit, sondern orchestrierte Freiheit im Rahmen einer Gemeinschaft. Menschen fordern die Freiheiten jetzt bereits verstärkt ein und dies wird zunehmen. Unternehmen sollten jedoch Spielregeln entwickeln und innerhalb dieser Leitplanken die Möglichkeit geben, dass Teams das optimale Set-up abstimmen, also wie sie am besten arbeiten und die Freiheiten im Sinne von Leistung zu individuellen Bedürfnissen nutzen wollen.
Im DACH-Raum herrscht großer Arbeitskräftemangel. Schon aus demografischen Gründen wird dieser wohl noch zunehmen. Die junge Generation will aber auch noch weniger arbeiten. Können wir es uns im Ganzen erlauben, immer weniger (Zeit) zu arbeiten, wenn doch immer weniger (Personen) arbeiten?
Die Herausforderung des Arbeitskräftemangels spitzt sich tatsächlich enorm zu. Wir sind gerade erst am Anfang. Umso mehr wird es zu dem zentralen Wettbewerbsfaktor, die richtigen Menschen zu gewinnen. Auch die Möglichkeit, ggf. weniger zu arbeiten, atmende Arbeitszeitmodelle oder auch die Vier-Tage-Woche gehören zu attraktiven Arbeitsmodellen.
Entscheidend wird jedoch auch sein, die Menschen emotional für die Arbeit zu gewinnen. Denn einfach nur einen Job x zu machen, um Geld zu verdienen oder Karriere zu machen, wird nicht ausreichen, um Mitarbeitende zum Arbeiten und zu Engagement zu bewegen. Movements wie Quiet Quitting oder The Great Reshuffle weisen auf klare Missstände auf diesem Gebiet hin.
New Work hat bereits in vielen Unternehmen für eine neue Arbeitskultur gesorgt. Was ist elementar für den Erfolg eines solchen Wandels?
Für eine erfolgreiche und nachhaltige Veränderung zur neuen Arbeitswelt braucht es vor allem eine Kulturveränderung. Wir können evidenzbasiert sehr klar zeigen, dass bestimmte Kulturfaktoren die Voraussetzung für den Erfolg von New Work sind: Top-Management als Vorbild, eine Kultur von Vertrauen, moderne Führung und die Selbstkompetenz von Mitarbeitenden. Ohne diese Kultur kann das Potenzial von New Work nicht ausgeschöpft werden. Bei 39 Prozent der Unternehmen finden wir sogar kontraproduktive Effekte – mehr Konflikte, Erschöpfung und kollektive Überhitzung.
„VUCA“, „BANI“ – Wissensarbeiter empfinden ihr Leben als immer schneller und schwieriger. Sie sind stets beschäftigt, schaffen aber mitunter immer weniger. Wie schätzen Sie das ein?
Unternehmen müssen aufpassen, dass sie nicht in eine Kultur des „Beschäftigtseins“ reinrutschen, in der Input belohnt wird anstatt Output. Eine Outputorientierung fördert Fokus und ermöglicht auch, Meilensteine zu feiern, Fortschritt sichtbar zu machen und emotionale Ereignisse wie Stolz, Wertschätzung und Erfolgserlebnisse zu schaffen.
Sie sprechen auch von einer Beschleunigungsfalle – wie können wir ihr entkommen?
Die Beschleunigungsfalle, also das kollektive Gefühl der Überhitzung, ist inzwischen bei 75 Prozent der Unternehmen vorherrschend. Und dies ist weder für die Menschen gut noch für den Erfolg des Unternehmens, geschweige denn für die Arbeitgeberattraktivität. Daher gilt es, der Beschleunigungsfalle gezielt entgegenzuwirken. Ansatzpunkte sind hierbei, dass konsequent Prioritäten geschärft und Stop-Doing-Initiativen eingeführt werden. Unternehmen sind unheimlich gut darin, Projekte zu starten, aber sie müssen besser darin werden, diese auch zu beenden, wenn sich Prioritäten ändern oder zu viele Dinge begonnen wurden. Diesen Prozess nennen wir Frühjahrsputz. Zudem können Pit-Stops, also Momente, in denen Erfolge gefeiert und Dinge abgeschlossen werden, helfen, positive Energie zu tanken und sich wieder für neue Dinge zu begeistern. „Slow down to speed up“, ist hierbei das Motto.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.