Vor etwa zehn Jahren sagte ihm der Chef eines noch heute führenden Druckerherstellers, das papierlose Büro komme so sicher wie die papierlose Toilette, nämlich niemals. Robert Nehring über Vision und Wirklichkeit des papierlosen Büros.
Die Vision vom papierlosen Büro soll 1973 im Palo Alto Research Center vom einstigen Kopierriesen Xerox formuliert worden sein, mitten im Silicon Valley. Es heißt, auch Steve Jobs habe sie sehr inspirierend gefunden. Der Optimismus von Xerox reichte in diesem Zusammenhang übrigens bis in die letzten Jahre. Noch 2016 prognostizierte man, dass 2018 90 Prozent aller Büros papierfrei sein würden. Vorhersage und Realität klaffen bei diesem Thema aber generell weit auseinander.
Laut einer 2019 veröffentlichten Studie von Statista im Auftrag des Druckerherstellers Kyocera arbeiten gerade einmal vier Prozent der Büroangestellten in Deutschland und Österreich bereits papierlos. Die Mehrheit der 1.650 Befragten (39 Prozent) druckt noch zwischen 21 und 100 DIN-A4-Seiten in der Woche. 24 Prozent drucken nur bis zu 20 Seiten, aber 31 Prozent sogar mehr als 100 Seiten.
Fast 50 Jahre nach ihrer Formulierung ist die Vision vom papierlosen Büro also noch immer nur eine Idee. Das sollte uns zu denken geben. Denn Ausdrucken kostet Zeit und Geld, Ausgedrucktes benötigt Stauraum und Digitales lässt sich nicht nur schneller finden, sondern auch leichter teilen. Ausdrucken verursacht Papierstäube und mitunter Toneremissionen. Für Papier müssen Bäume gefällt werden, so sehr man es auch (chemisch) recycelt und so gering auch die Grammatur ist. Zwar sind Bäume ein nachwachsender Rohstoff, aber das Nachwachsen braucht sehr lange Zeit. Und: Ausdrucken ist nicht smart. Smart aber, also möglichst digital vernetzt, muss heute alles sein, was modern sein will.
Das papierlose Büro wird wohl auch in den nächsten Jahrzehnten für viele eine Vision bleiben. Aber trotz solch ernüchternder Umfragen wie der Kyocera-Studie gibt es eine klare Tendenz hin zu einem papierarmen Büro. Gemessen am stetig wachsenden und dank Digitalisierung immer leichter verfügbaren Content fällt der Anteil dessen, was davon noch ausgedruckt wird, bereits seit Jahren drastisch. Die Anzahl der CEOs aus der Boomer-Generation, welche im ICE die von ihrer Sekretärin ausgedruckten E-Mails ausbreiten, nimmt augenscheinlich ab. Weltweit wurden 2018 ebenso viele E-Mails am Tag wie Briefe im gesamten Jahr verschickt: etwa 228 Milliarden. Rechnungen werden seit mehreren Jahren digital versendet. Notizen werden zunehmend direkt in den digitalen Dokumenten gemacht. Digitales Signieren ist auf dem Vormarsch. Und die nachrückenden Generationen Y und Z nutzen bei Multifunktionsdruckern längst nur noch die Scanfunktion.
Wenn endlich die Finanzämter aller Bundesländer erklären würden, dass Rechnungen nicht mehr zehn Jahre in Papierform aufbewahrt werden müssen, und wenn deutsche Behörden endlich darauf verzichten würden, briefbasiert zu kommunizieren, dann könnte vielleicht einmal ein großer Schritt in die richtige Richtung gemacht werden. Aber das kann hierzulande natürlich auch noch einmal 50 Jahre dauern.
Die Druck- und die Papierbranche verweisen immer wieder auf relativ stabile Papierverbrauchszahlen in Deutschland. Dabei wird aber hier und da unterschlagen, dass dies vor allem an Zuwächsen bei Verpackungsmaterial und Hygienepapier liegt. Und bei den kommunizierten Umsatzzahlen ist zu berücksichtigen, dass es in den letzten Jahren deutliche Preiserhöhungen gegeben hat.
Die Büro-Industrien haben die Entwicklung zu einem papierärmeren Büro schon lange erkannt. Druckerhersteller sind zu Document-Solutions-Experten geworden, die auch digitales Dokumentenmanagement anbieten. Hersteller von Stauraummöbeln setzen vermehrt auf akustisch wirksame Trennwände. Und traditionelle Bürobedarfsanbieter versuchen, mit Leuchten, Luftreinigern und Möbeln in andere Segmente vorzudringen.
Es gibt keinen Grund, Papier im Büro zu verteufeln. Genauso wenig wie das gute alte Buch aus Papier. Was man Schwarz auf Weiß besitzt, darf man – wie es so schön heißt – getrost nach Hause tragen, weil es etwas Wertiges darstellt. Seine Haptik verleiht Papier etwas Bleibendes, Besonderes. Einigen gelingt es auf Papier besser, Rechtschreibfehler zu finden. Und so weiter. Dennoch denke ich, dass es an der Zeit ist, seinen Papierkonsum wirklich einmal zu überdenken. Seit wir vor vielen Jahren „Think before you print“ in unsere E-Mail-Signaturen geschrieben haben, ist offenbar nicht genug passiert.