Das staatliche Bauhaus – genau heute vor 100 Jahren wurde die legendäre Kunst- und Gestaltungsschule gegründet. Was aber unter Bauhaus zu verstehen ist, das lässt sich nicht so leicht erklären. Robert Nehring versucht es trotzdem, mit einem Abstecher ins Büro. Es folgen Statements aus der Branche.
Im April 1919 wurde das Staatliche Bauhaus – die erste reformierte Kunstschule nach dem Ersten Weltkrieg – in Weimar gegründet. Als Gründungsdatum des Bauhaus wurden bislang verschiedene Tage dieses Monats verwendet. Das Semester begann zum Beispiel am 1. April, der Lehrbetrieb am 28. April. Walter Gropius unterzeichnete seinen Vertrag am 11. April. In der Literatur werden auch der 5. und der 21. April genannt. Dank der Recherche des Bauhausexperten Volker Wahl, der das vielleicht tiefschürfendste Buch zum Jubiläumsjahr veröffentlicht hat, müssen wir aber vom 12. April ausgehen. Denn dies war der Tag, an dem der Erlass zum „Staatlichen Bauhaus“ genehmigt wurde.
Das Bauhaus bestand lediglich 14 Jahre. Nach den Zwangsumsiedlungen nach Dessau (1925) und dann Berlin (1932) musste es hier 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten schließen.
Das Bauhaus: Wiege moderner Gestaltung
Diese 14 Jahre waren jedoch ausreichend, um Produktdesign und Architektur eine neue Richtung zu geben, der bis heute in vielen Zusammenhängen gefolgt wird. Im Bauhaus liegen laut Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, zum Beispiel die Anfänge aktueller Designentwicklungen wie Social Design und Open Design. Das Bauhaus gilt als Deutschlands berühmteste moderne Schule für Kunstdesign und Architektur. Tim Sommer, Chefredakteur des Kunstmagazins Art, sieht in ihm sogar die wichtigste deutsche Erfindung des 20. Jahrhunderts.
Bauhaus-Berühmtheiten
Zahlreiche Produkte sind heute vielen als Bauhaus-Ikonen bekannt, etwa die Wiege von Peter Keler (1922), die Tisch-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld (1923; MT 8), das Tee-Extraktkännchen von Marianne Brandt (1924, MT 49), der Wassily-Sessel von Marcel Breuer (1925; B 3), der Freischwinger von Mart Stam (1926; S 43) oder der Barcelona-Sessel von Ludwig Mies van der Rohe (1929; MR 90).
Auch viele leitende Bauhaus-Lehrer sind noch heute ein Begriff: neben den drei Direktoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe unter anderem Lyonel Feininger, Johannes Itten, László Moholy-Nagy, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die Lehrer wurden in den Werkstätten nicht Professoren genannt, sondern Form-Meister. Ihnen stand jeweils ein Werk-Meister zur Seite, der die Grundlagen des Handwerks beherrschte.
Dennoch ist es gar nicht so einfach zu sagen, was Original Bauhaus ist und was nur Bauhaus sein könnte, also im Bauhaus-Stil gearbeitet wurde. Denn die Bauhausschule hatte nicht nur viele Vorbilder wie den Expressionismus, den Deutschen Werkbund oder die niederländische Bewegung De Stijl. Sie wirkte eben auch noch weit über ihre kurze Dauer hinaus. Spätere Beispiele sind etwa die Junghans-Uhr Max Bill von 1961, der Füllhalter Lamy 200 von Bauhaus-Designer Gerd A. Müller aus dem Jahre 1966 und die zahlreichen Neueditionen und Weiterentwicklungen von Bauhausklassikern durch Firmen wie Thonet, Tecta oder Knoll International.
Was ist Bauhaus?
Viele assoziieren mit dem Bauhaus vor allem weiße Häuser aus Stahlbeton und Glas, Sitzgelegenheiten aus Stahlrohr mit schwarzem Leder oder die Verwendung der Grundformen Kreis, Rechteck und Dreieck sowie der Grundfarben Rot, Gelb und Blau.
Worum es dem Bauhaus aber eigentlich ging, das war die Verbindung von Kunst und Handwerk. Es sollten Gegenstände, Bauten und Räume für eine humanere Gesellschaft entstehen, wie es der Autor Josef Straßer ausdrückt. Kunst und Gestaltung wurden als Möglichkeiten betrachtet, die Welt zu verbessern. Dazu gingen die Bauhäusler mit ganzheitlicher Perspektive, interdisziplinär, radikal offen und spielerisch vor. Dinge sollten aus ihrem Zweck heraus verstanden und gestaltet werden, wobei dem industriellen Herstellungsprozess größte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Funktion sollte die Gestaltung bestimmen, Technik bzw. Handwerk die Kunst bzw. Ästhetik.
Das Bauhaus wendete erstmals in Deutschland den aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden Leitsatz ‚form follows function‘ konsequent an. Es interpretierte ihn als Verzicht auf alles Ornamentale und als Reduktion aufs Wesentliche. Unter Einsatz neuer Techniken und Materialien entstanden schlichte, einfache, zeitlose Lösungen, die auch ökonomische Kriterien erfüllten. „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ lautete eine seiner Devisen.
Bauhaus und Büro
Was hat das Bauhaus mit den Büros von heute zu tun? Natürlich, viele Bürogebäude bestehen aus Glas und Beton. Wassilys und Barcelonas schmücken so einige Wartebereiche, Freischwinger manche Cafeteria. Sicher lassen sich auch die klischeegewordene Kombination aus Eames Aluminium Chair von Vitra und USM-Regalen, das kühle Design skandinavischer Büromöbel und der Apple-Style als Bauhaus-inspiriert betrachten. Das kann man alles gut oder nicht so gut finden. Über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten. Die Bedeutung des Bauhauses für den Bürobereich war und ist in jedem Falle immens. Davon zeugen auch die folgenden Statements.
„Das Bauhaus ist für das Vitra Design Museum zum einen natürlich als Forschungs- und Sammlungsgebiet von großer Bedeutung. Wir haben viele Möbel aus dem Kontext des Bauhauses in unserer Sammlung und verfügen über mehrere Nachlässe und Archive, die sich auf die Zeit des Bauhauses beziehen. Noch wichtiger ist das Bauhaus aus unserer heutigen Sicht jedoch, weil es als Vorläufer vieler aktueller Designentwicklungen gelten kann. Was heute unter Begriffen wie Social Design, Open Design oder Critical Design diskutiert wird – vieles davon nahm am Bauhaus seinen Anfang. Man verstand Design als Möglichkeit, die Welt zu verbessern, und tat sich zu diesem Zweck mit Gestaltern anderer Disziplinen zusammen. Man suchte das Experiment, manchmal auch die Provokation. Das Bauhaus war also viel mehr als der etwas klischeehafte ‚Bauhaus-Stil‘ aus Stahl, Glas und schwarzem Leder. Wichtiger als ein einheitlicher Stil war die gemeinsame Vision – man wollte eine bessere Welt gestalten.“
„Das Bauhaus war die wesentliche Schule ihrer Zeit und hat der modernen industriellen Fertigung von designorientierten Produkten den Weg bereitet. Seine Grundprinzipien sind auch heute noch die Basis für die internationale Bedeutung des deutschen Industriedesigns. Unsere Produkte entwerfen wir in dieser gestalterischen Tradition und legen größten Wert auf eine sinnvolle Verbindung von Funktionalität und Ästhetik. Das eine geht auch aus unserer Sicht niemals ohne das andere. Das Design unserer Produkte orientiert sich immer an den Bedürfnissen der Nutzer und entwickelt sich mit diesen weiter. Dementsprechend haben alle unsere Produkte zwar ihre eigene Sprache aber eines gemeinsam: Sie sind dafür gemacht, dass Menschen sich wohlfühlen.“
„Das Wilkhahn von heute ist ohne das Bauhaus gar nicht denkbar. Hier wurden die wichtigsten Grundlagen für unsere Unternehmensentwicklung gelegt, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Pionierunternehmen für Design made in Germany machten: Der Bauhäusler Herbert Hirche zeichnete in den 1950er Jahren für zahlreiche Möbelentwürfe und für das Verwaltungsgebäude am Wilkhahn-Stammsitz in Bad Münder verantwortlich. In enger Zusammenarbeit mit der HfG Ulm, an der unter anderen Josef Albers, Johannes Itten und Helene Nonné-Schmidt lehrten, erlernten wir die Methodik zur Entwicklung innovativer und langlebiger Produkte. Mit „Ulmer“ Lehrern und Schülern, wie Tomás Gonda, Herbert Ohl, Wilhelm Ritz, Klaus Franck und Hans „Nick“ Roericht, entwickelten wir Meilensteine im Corporate Design, in der Produktentwicklung und im Verständnis unternehmerischer Verantwortung. Die Fabrikbauten, entworfen von den Architekten Frei Otto und Thomas Herzog, setzten dafür auch in der Architektur beispielgebende Zeichen. Hochrangige Auszeichnungen wie der deutsche Umweltpreis und vielzählige Designpreise sind für uns Bestätigung und Ansporn, das faszinierende Erbe der Moderne immer wieder neu für die Zukunft zu transformieren. Deshalb stellen wir unsere Aktivitäten zum Jubiläum unter das Motto Bauhaus 100+. Dessen ganzheitlicher, interdisziplinärer Gestaltungsanspruch gepaart mit gesellschaftlichem Engagement ist aktueller als je zuvor, um nachhaltig bessere und schönere Arbeitswelten zu entwickeln.“
„Interface fühlt sich den Lehren des Bauhaus eng verbunden, da diese in vielen Aspekten unserer Unternehmensphilosophie entsprechen. Daher passt es, dass sich unser deutscher Firmensitz seit 2016 im Mies van der Rohe Business Park in Krefeld befindet – in einem ‚original Bauhaus‘. Einen besseren Ort für unseren Living WorkPlace hätten wir nicht finden können. In diesem geschichtsträchtigen und dabei zukunftsorientierten Gebäude spüren wir jeden Tag die Verbindung von Vision, Haltung und Gestaltung des Bauhaus zu unserem nachhaltig agierenden Unternehmen. Zudem gibt es für uns ideologische Anknüpfungspunkte. Denn auch bei Interface gilt die Einheit von Natur, Architektur und Mensch als Mittelpunkt des Handelns und Schaffens. Wir nennen das Positive Spaces: Lebens- und Arbeitsräume, in denen das Wohlbefinden der Menschen oberste Priorität hat. Sie sind geprägt von einem Design, das Inspiration aus der Natur bezieht, und werden mit nachhaltigen Produkten sowie Materialien ausgestattet. Das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum nehmen wir zum Anlass, uns verstärkt auf die gemeinsamen Werte zu besinnen und uns aktiv in das Geschehen einzubringen. Als Sponsor des Vereins ‚Projekt MIK e.V.‘ begleiten wir im Bauhaus Jubiläumsjahr das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt ‚map 2019 Bauhaus Netzwerk Krefeld‘. Außerdem präsentieren wir unter dem Titel ‚100 Jahre Bauhaus – 100 Stories by Interface‘ online abwechslungsreiche Geschichten rund um Architektur und Design, Tradition und Innovation.“
„Als Vertreter der ‚Neuen Sachlichkeit‘ fanden sich die Architekten des Bauhaus in Michael Thonets Bugholzentwürfen wieder. Sein Prinzip, Form und Material auf das Wesentliche zu reduzieren, entsprach auch ihren Leitlinien. Die Bugholzentwürfe von Thonet aus dem 19. Jahrhundert, darunter der berühmte Kaffeehausstuhl 214, waren die ersten in Serie gefertigten Möbel und so Symbol des industriellen Standards sowie Ausdruck eines modernen Zeitgeistes. So hat auch heute noch der Stuhl 209 den Beinamen Corbusier-Stuhl, da Le Corbusier den Stuhl in vielen seiner Gebäude einsetzte. So unter anderem im Pavillon de l’Esprit Nouveau in Paris, in der Villa de la Rocca und in den Häusern Nr. 13 und 14/15 in der Weißenhof-Siedlung in Stuttgart. Ende der 1920er Jahre wurde dann das damals noch vollkommen neuartige Stahlrohr zum beliebten Material der Bauhaus-Architekten. Nach der Übernahme der von Marcel Breuer mitgegründeten Firma Standard Möbel entstanden ab 1930 bei Thonet die heutigen Stahlrohr-Klassiker. Besonders die Modelle S 32 und S 64, gezielt entworfen für Thonet, schlugen schon damals eine Brücke zwischen der traditionellen Bugholztechnik und modernem Stahlrohrbiegen. Ihr Wiener Geflecht erinnert an überliefertes Handwerk, ihre raumprägende Gestalt mit der Funktion des Freischwingers wies in Richtung Zukunft. Thonet schaffte es, sich ein weiteres Mal als Meister der gebogenen Formen zu beweisen und wurde Vorreiter in der Entwicklung innovativer Sitzmöbel. In den 1930er Jahren war Thonet der führende Hersteller von Möbeln aus Stahlrohr, die von bekannten Architekten wie Marcel Breuer, Mart Stam oder Ludwig Mies van der Rohe entworfen wurden. Noch heute prägen die Möbel und ihre Konzeption mit direkter Verbindung zu den Bauhaus-Lehrern die DNA der Marke und sind Teil unserer täglichen Arbeit.“
„Als modulares Tragrohrmöbelsystem ist der Bosse modul space ein klassisches Beispiel für die Bauhaus-Philosophie. Laut dieser sollen industrielle Materialien wie Tragrohre aus Chrom Eingang finden in die Gestaltung von Lebensräumen. Ein weiteres bekanntes Beispiel hierfür ist der Wassily-Sessel von Marcel Breuer. Das Bauhaus sah generell Stahlrohrmöbel als neue Designsprache des modernen Wohnens an. Die Designschule interpretierte den Leitsatz ‚form follows function‘ als Verzicht auf alles Ornamentale, was sich möglicherweise in ihren Produkten stärker zeigt als in der Architektur. Der Einsatz neuer Technologien und Werkstoffe revolutionierte die Entwicklung von Gegenständen: Volksbedarf statt Luxusbedarf war der Leitgedanke, unter dem vorbildliche Gegenstände für die künftige Gesellschaft produziert werden sollten. Daraus resultierten schlichte, einfache Formen, die auch unter ökonomischen Gesichtspunkten effizient sind. Dies trifft auch für den Bosse modul space zu. Das System ist maximal flexibel, vielseitig und optisch reduziert. Der Verzicht auf Ornamente macht es zum zeitlosen Klassiker.“