Die Flexibilisierung der Arbeitswelt hat nicht nur Befürworter. Wir sprachen mit Dr. Christian Scholz über die Gefahren von Work-Life-Blending, über flexibles Arbeiten bei der Generation Z und darüber, wie man es vermeiden kann, sich in den neuen Arbeitsmodellen aufzureiben.
OFFICE ROXX: Herr Professor Scholz, in Ihrem neuen Buch warnen Sie vor Work-Life-Blending, dem fließenden Übergang von Arbeit und Freizeit. Wie stellt sich dieses Verschwimmen für Sie dar?
Christian Scholz: Work-Life-Blending ist ein Trend, bei dem sich Grenzen auflösen. Einerseits greift der Beruf vermehrt ins Privatleben ein. Dies beginnt mit dem Lesen von E-Mails am Wochenende und geht über das Bearbeiten von Anfragen am Abend bis hin zu Skype-Konferenzen im Urlaub. Auf der anderen Seite versuchen Unternehmen, die Grenzen fließend zu gestalten, indem sie die Mitarbeiter möglichst lange ins Büro locken: gemeinsames Frühstück und After-Work-Meeting.
Was ist falsch an diesem neuen Arbeitsmodell? Sie nennen es eine Mogelpackung.
Für Unternehmen ist kurzfristig nichts verkehrt. Betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Die Ressource Mitarbeiter wird maximal genutzt, weil sich der Beruf komplett ins Privatleben einschleicht. Dem Mitarbeiter wird suggeriert, dass dies für ihn maximale Souveränität bedeutet: Arbeiten im Café und je nach Biorhythmus. Da beginnt die Mogelpackung: Denn in der Realität entscheidet das Unternehmen, wann und wo die Arbeitskraft benötigt wird.
Sie kritisieren insbesondere das Desk-Sharing.
Es gibt kaum gute Gründe, eigene Schreibtische abzuschaffen: Die Fläche pro Mitarbeiter sinkt nicht drastisch, dafür aber die Arbeitsmoral. Mitarbeiter suchen nach Führungskräften und umgekehrt, und alle nervt die tägliche Reise nach Jerusalem. Büros, die Activity-Based-Work sowie Kreativität und Kommunikation unterstützen, kann man unabhängig vom Desk-Sharing realisieren.
Freiheit durch Flexibilität – das soll sich vor allem die Generation Z wünschen. Deren Symbol ist ein Kaktus.
Der Kaktus ist Symbol für den eigenen Arbeitsplatz, der gerade der Generation Z wichtig ist. Und besonders sie wünscht sich Freiheit durch Flexibilität. Aber hier sind wir wieder bei der Mogelpackung: Unternehmen versprechen Flexibilität, meinen damit aber, dass der Mitarbeiter rund um die Uhr flexibel sein soll. Und das will die Generation Z nicht: Sie will eine klare Trennung zwischen Berufs- und Privatleben.
Wer ist verantwortlich für unser falsches Bild von den etwa ab 1990 Geborenen und von Work-Life-Blending?
Dass wir ein falsches Bild von dieser Generation haben, glaube ich nicht: Die meisten, die mit der Generation Z zusammenkommen, erkennen ihre Charakteristika. Anders dagegen beim Work-Life-Blending: Dahinter steckt geschickte Propaganda, also Framing. Natürlich merken Unternehmen, dass sie Schwierigkeiten bekommen. Deshalb setzen sie auf die Macht der Worte: Work-Life-Blending ist vom Wort her etwas Schönes, denn „Abschaffen von Privatleben“ klingt weniger gut.
Mit Arbeitswelt 4.Z formulieren Sie einen Gegenentwurf zum Modell Work-Life-Blending. Was verbirgt sich dahinter?
Bei diesem Entwurf geht es um Arbeitszeit, -ort und -verhältnis, zu verstehen als Antwort auf die Herausforderung der Industrie 4.0, inklusive Ideen, die zum Teil aus der Generation Z kommen. Wir brauchen Strukturen, die den Menschen Planungssicherheit für ihr Privatleben geben. Die aktuell geforderten Freiheitszonen ohne Arbeitsrecht und Mitbestimmung sind wenig hilfreich. Auch ist es aus meiner Sicht verkehrt, atypische Arbeitsverhältnisse als Norm für die Zukunft zu sehen und geregelte Arbeitszeiten als üblen Wettbewerbsnachteil. Arbeitswelt 4.Z ist sicherlich ein umfangreiches und diskutierbares Konzept.
Sollte mehr in Coworking-Spaces als in Home-Offices gearbeitet werden?
Home-Office-Tage sind und bleiben wichtig, sind es aber nur für wenige Beschäftigte. Unabhängige Einzelunternehmer wie Freelancer etc. wird es deshalb eher in Coworking-Spaces ziehen, Mitarbeiter von Unternehmen eher ins eigene Unternehmen. Und das ist auch im Interesse der Unternehmen, die erkannt haben, dass persönliche Interaktion wichtig und nicht durch Videokonferenzen ersetzbar ist.
Was können Mitarbeiter selbst tun, um sich vor „gefährlicher“ Flexibilisierung zu schützen?
Sicherlich nicht einfach das Handy ausstellen oder bei der E-Mail den Autoresponder auf „Bin nicht da“ setzen. Vielmehr mit dem Chef über die Probleme des Work-Life-Blending sprechen und dann im Team klare Regeln definieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Robert Nehring.
Dr. Christian Scholz hat einen Lehrstuhl für Personalmanagement an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken inne. |