Das Büro durchlebt einen grundlegenden Wandel. Es steht vor neuen Herausforderungen und erhält neue Funktionen. Das Beratungs- und Planungsstudio loop aktiviert Orte und entfesselt deren Potenzial. In seiner vierten Kolumne geht es um das Thema Nachhaltigkeit. Von Dr. Christoph Meyer zum alten Borgloh.
In den letzten zwei Monaten war ich auf drei Veranstaltungen zur Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft. Zwei inhaltliche Schwerpunkte lassen sich erkennen: Investment- und Portfoliomanager sowie Projektentwickler fokussieren sich auf Governance (Nachhaltigkeit durch Taxonomie und Zertifizierungen), während Asset- und Property-Manager sowie Architekten und Facility-Manager sich auf Environmental-Themen konzentrieren. Die Lösungen zusammengefasst: emittierende Heizung durch Fernwärme oder Wärmepumpe austauschen, eine Nachhaltigkeitszertifizierung erreichen und Neubauten gern als Holzhybrid mit einer aufwendigen Mess- und Steuerungstechnik ausführen.
Ist das das Universalrezept zur ESG-Konformität in der Büroimmobilienwirtschaft? Nach den Veranstaltungen blieb bei mir ein S-törgefühl hängen. Auf dem Papier mögen die Maßnahmen Lösungen sein, aber machen sie Büros wirklich nachhaltig? Vielleicht ist es zielgerechter, das Thema über eine ganzheitliche Definition zu betrachten: Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu erfüllen, ohne künftigen Generationen die Möglichkeit zu nehmen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.
Beginnen wir mit den Bedürfnissen der heutigen Generation: Corona hat die Art und Weise verändert, wie und wo wir arbeiten. Das Unternehmensbüro muss heute in der Gunst der Mitarbeitenden mit Homeoffice und Dritten Orten konkurrieren. Ein Büro, das die Mitarbeitenden funktional und emotional nicht abholt, wird wenig genutzt, was auch Folgen für die Zusammenarbeit und Mitarbeiterakquise hat. Insofern ist Nutzerfokus gefragt: Wir müssen Orte schaffen, die ihre Nutzer optimal unterstützen sowie funktionale und emotionale Mehrwerte bieten, die das Homeoffice oder Dritte Orte nicht liefern können. Büros müssen spannender, funktionaler und gemeinschaftlicher werden sowie eine zielgruppengerechte Gestaltung bieten. Auf den Quadratmeter gerechnet wird das nutzergerechte Büro teurer sein, aber durch die parallele Nutzung von Homeoffice und anderen Orten benötigen wir kleinere Büroflächen, wodurch Mehrkosten kompensiert werden können.
Kommen wir zum zweiten Teil der Nachhaltigkeitsdefinition: Wie erfüllen wir diese Bedürfnisse, ohne künftige Generationen damit einzuschränken?
Der erste wichtige Hebel sind bessere Büros auf weniger Fläche. Jeder nicht mehr benötigte Quadratmeter reduziert den Ressourcenverbrauch und senkt die Kosten. Der zweite Hebel ist die ehrliche Betrachtung des CO2-Impacts bei Standortentscheidungen. Eine Folgenutzung von Bestandsgebäuden hat in der Regel einen geringeren CO2-Impact als ein Neubau aus Stahl oder Stahlbeton – aber auch weniger als ein neues Holzgebäude, das zugleich eine CO2-Senke darstellen kann? Eine fallbezogene Alternativen-Gegenüberstellung der Bau- und Nutzungsemissionen ist unvermeidbar, wobei sich eine CO2-neutrale Energieversorgung zunehmend als Standard etabliert.
Wenn ein Neubau notwendig ist, sollte als dritter Hebel die Anforderungsflexibilität als Grundanforderung mitgedacht werden, um sowohl sich verändernden Büroanforderungen als auch alternativen Nutzungen gerecht zu werden. Gebäudetiefen, Deckenhöhen und Gebäudezuschnitt sollten so gewählt werden, dass eine hohe Flexibilität gewahrt bleibt. Das schafft Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz. In einer Gesellschaft, in der die 15-Minuten-Stadt die autozentrierte Stadt als stadtentwicklungspolitisches Leitbild ablöst, gewinnt die Vernetzung mit anderen Büronutzern, anderen Nutzungen, mit Nachbarn und mit der Stadtgesellschaft im Quartier an Bedeutung. Die Zeiten abgegrenzter Büroquartiere sind vorbei – Datensicherheit und innerbetriebliche Gemeinschaft werden nicht über Zäune und Zutrittskontrollen sichergestellt.
Zusammengefasst geht es also insbesondere um das Bereitstellen von Orten, die ihre Nutzer heute und morgen optimal unterstützen, weil sie mit echten funktionalen und emotionalen Mehrwerten begeistern. Ich wünsche mir bei zukünftigen ESG-Veranstaltungen mehr Nutzerfokus, mehr augenöffnendes Aufzeigen von Wegen, wie Nutzer konkret in den Fokus genommen wurden, um gute Orte zu schaffen. Und weniger Aufzeigen von universellen technischen Lösungen, in denen der Mensch nur den zu optimierenden Störfaktor im Taxonomie-gerechten Vermietungsgeschäft darstellt.