In dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt. Eingangs thematisieren renommierte Architekten die neuen Herausforderungen der modernen Büroarbeitswelt. Claudia und Klaus de Winder sind mit diesem Beitrag dabei.
Was die Arbeitswelt kennzeichnet und wohin sie schreitet, ist spätestens seit Beginn der industriellen Gesellschaften Anfang des 19. Jahrhunderts ein allgegenwärtiges Thema. Das Büro entwickelte sich zunehmend erfolgreich als völlig autonome Einheit, was bis heute Einfluss auf die Bürokultur weltweit hat. Der Begriff „Bürolandschaft“ als radikale Gestaltungsidee für Büros manifestiert sich sehr viel später und wird zum Synonym für ein geplantes, gelenktes Großraumbüro. Die Bürolandschaft entstand vor dem Hintergrund einer sich emanzipierenden Arbeitswelt, deren Hierarchien sich – so die Utopie – auflösen, und wird daher auch gern als Experiment der Kybernetik, der Steuerungsprozesse angesehen.
Für die Beantwortung der Frage, was unsere Arbeitswelt heute und in den kommenden Jahren kennzeichnet, können Annahmen und Erkenntnisse der Vergangenheit mit den Erfahrungen der Gegenwart verbunden und in die Zukunft gesendet werden. Aber was ist Arbeit und trifft der Begriff überhaupt noch zu? Unserer Meinung nach wird sich nicht nur der räumliche Bedarf, sondern gleichfalls der Begriff der Arbeit weiter ändern (müssen). Der etymologischen Forschung nach mutmaßlich vom lateinischen „tripalium“ abgeleitet, stand der Begriff für etwas, das „die Pferde im Zaume hält“, und meinte ursprünglich die physische Tätigkeit des Menschen. Das vom Indogermanischen „orbho“ abgeleitete „arabeid“ im Althochdeutschen sowie das mittelhochdeutsche „arebit“ beschreiben ebenfalls ein Arbeitsverständnis als Mühsal und Plage.
Für Aristoteles schon war „es eines freien Bürgers schlicht unwürdig, sich mit körperlicher Arbeit abzumühen“ (Brand eins: Neue Arbeit? Neues Denken!, 2022). Er verband den Begriff der Arbeit bzw. der Nichtarbeit (Muße) mit Freiheit. Der „freie Mensch“ war vor allem frei von Arbeit und gab sich der selbstbestimmten Entfaltungstätigkeit, nicht der körperlichen Mühe hin. (Günther Moewes: Maschinenarbeit statt Menschenarbeit, 2007). Der negativ konnotierte Müßiggang erlebte durch solche Gedanken eine Renaissance. „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt“, so jedenfalls der dänische Philosoph Søren Kierkegaard.
Die Moderne brachte dann der Arbeit erstmalig hohe Wertschätzung entgegen, sodass sie seitdem unser Selbstbewusstsein prägt und eine Nichtarbeit als Sinnlosigkeit der Existenz betrachtet wird. In der seit den postmodernen 1970er- und 80er-Jahren andauernden, global unterschiedlich ausgeprägten Krise der Arbeitsgesellschaften wandelte sich das Bild der Erwerbsarbeit im Zuge der dritten technologischen Revolution sehr schnell und es entstand die Frage nach künftigen Formen von Arbeit. Die aktuelle Debatte ist also nicht neu. Untrennbar verbunden damit sind Überlegungen zu den sich (notwendigerweise) verändernden Räumen.
Raumbedingungen
Die Performance zur performativen Arbeit des österreichischen Architekten Hans Hollein mit seinem „Inflatable Mobile Office“ aus dem Jahr 1969 zeigt, dass „der Arbeitsplatz eine Bühne ist“. Andreas Rumpfhuber schreibt: „Hollein überspitzt seinen Architekturarbeitsalltag als Vorzukunft eines modellhaften Lebens für jedermann. (…) Man ist zwar immer unterwegs, ist global agierendes Kreativsubjekt. Die Arbeit ist aber immer noch dieselbe ...“ (Andreas Rumpfhuber: Architektur immaterieller Arbeit, 2013).
Auch die Arbeitszeit hat sich verändert. Wir arbeiten nicht mehr in dem Umfang wie zur vorletzten Jahrhundertwende und die „neue freie“ Zeit verändert unseren Rhythmus. Nicht erst mit Thomas Manns „Zauberberg“, in dem der Protagonist Hans Castorp erfahren muss, dass die Zeit oben auf dem Berg eine andere Dimension hat als im Flachland, tritt Zeit als Komponente in Bezug auf das Wirken im Raum in Erscheinung. Der spanische Soziologe Manuel Castells qualifizierte die Zeit um 1970 als eine der wichtigsten Tendenzwenden des 20. Jahrhunderts. Karlheinz Geißler schrieb: „Der Tag ist immer gleich lang, aber unterschiedlich breit.“ (Karlheinz Geißler: Unsere Not mit der Zeit, 2013). Die Digitalisierung und somit auch die Digitalisierung der Zeit lässt uns dynamischer mit ihr umgehen. Stechuhren sind längst passé. Mit dem Durchdringen unserer Alltags- und Arbeitswelt durch digitale Technologien findet ein Wandel in der Art und Weise statt, wie wir Zeit leben und wahrnehmen.
Unweigerlich verbunden mit dieser Transformation ist unser Umgang mit dem Ort. Wir sitzen nicht mehr acht Stunden still am Schreibtisch und erwarten den „Feierabend“. Auch wenn wir nach der Wirtschaftspsychologin Vera Starker die Produktivität von Denkarbeit weiterhin zu stark am Achtstundentag messen, nimmt Kleinteiligkeit in der Arbeitstaggestaltung in Hinblick auf Ort, Zeitmanagement und Output zu. Durch die Allgegenwärtigkeit, mit der die Digitalisierung den sozialen Raum erobert, erleben wir gleichfalls die Eroberung und Veränderung des physischen Raums in der Arbeitswelt. Wenn wir nicht mehr (klassisch gedachte) acht Stunden an einen Ort gebunden sind, werden wir zunehmend die Positionsorte unserer Arbeit verändern, sei dies remote oder innerhalb eines gefügten Raumes.
Ich kann so nicht arbeiten
In Zeiten der zunehmend global gültigen Netzwerkgesellschaften ist laut dem Soziologen Castells ein neues Paradigma entstanden, wonach das „Networking und Kollaborieren zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen aufgestiegen ist und nicht wie bisher nur gesellschaftliche Teilbereiche“ tangiert (Manuel Castells: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, 1996). Für Markus Albers geht derweil die „Überbetonung von Kollaboration auf Kosten von Konzentration und Kontemplation“. Als Lösung erscheint kontemplative Kollaboration als Teil des Ganzen. Der Raum mit seinen Bedingungen hat darauf großen Einfluss. Nach dem Yerkes-Dodson-Gesetz, das die kognitive Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom allgemein-nervösen Erregungsniveau beschreibt, erlangen wir größte Performance bei ausgeglichenem Stresslevel, ohne unter- oder überfordert zu sein.
Motivationen und Bedürfnisse erweitern sich durch die Bestimmung der Materialität und deren Verträglichkeit, Nachhaltigkeit, Atmosphäre als Erweiterung der Identifikation mit dem Ort.“
Claudia und Klaus de Winder,
de Winder Architekten.
Für uns Architekten bedeutet dies, dem durch adaptive Raumangebote entgegenzuwirken und aktiv Räume zu schaffen, in denen die Mitarbeitenden nach dem Serendipitätsprinzip Innovationsgeist entwickeln sowie Denkansätze und Perspektiven entdecken können, die nicht gesucht wurden, sondern dem Zufall zu verdanken sind. Hierfür braucht es inspirierende Umgebungen zum Experimentieren und Vernetzen unabhängig vom jeweiligen Arbeitsort. Der Arbeitsplatz als kleinste, non-territoriale Einheit sollte eher wie ein Swiss-Army-Messer oder eine Werkbank und nicht wie ein statischer Bürotisch verstanden werden. So kann sich fokussiertes Schaffen entfalten.
Raum und Hülle
In „The Ordinary City“ von 1997 verstehen die Stadtforscher Stephen Graham und Ash Amin die Stadtlandschaft als einen Ort multipler, sich überlagernder Räume, Zeiten und Beziehungsgeflechte, welche Orte und Subjekte in globalisierte Netzwerke wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels integrieren. Ähnlich müssen Bürogebäude funktionieren. Die Hülle wurde in den letzten Jahrzehnten irrtümlicherweise zum selbstbezogenen Design-Statement. Nach Le Corbusier ist es eine „Frage des Gebäudes“, die den Schlüssel zum Gleichgewicht darstellt: „Architektur oder Revolution?“ (Le Corbusier: Vers une architecture, 1923). Demnach sollte das Haus der Gemeinschaft vielmehr als Kommunikationsort gesehen werden, der im Dialog mit Stadt und Nutzer steht, als Ort der Polis.
Für Unternehmen und Beschäftigte ergibt sich daraus die Chance, Räume in ihrer Diversität als Einheit zu begreifen, in der verschiedene Generationen voneinander lernen. Le Corbusier verglich 1923 ein Gebäude mit einer Seifenblase, die ein vollkommenes, harmonisches Gebilde wird, sofern der Hauch die Luft beim Aufblasen richtig verteilt und sie richtig bemessen ist. Im Ergebnis ist das Äußere vom Inneren bestimmt (Arthur Rüegg/Ruggero Tropeano: Raum und Raumbilder, 1989). Jedoch kann das Gebäude nur einer von vielen Bausteinen sein und nicht allein die Erwartung vom Neuen Arbeiten erfüllen.
Maßstäblichkeit und Identifikation sind für den Raum wesentliche Faktoren. Motivationen und Bedürfnisse, wie sie Abraham Maslow in der Mitte des letzten Jahrhunderts in einer hierarchischen Struktur beschreibt, erweitern sich heute durch die Bestimmung der Materialität und deren Verträglichkeit, Nachhaltigkeit und Atmosphäre als Erweiterung der Identifikation mit dem Ort und dem, was man tut und für wen. Auch dies ist Teil der Raumhülle.
Turn challenges into opportunities
Was heißt das alles für den architektonischen Raum? Wir sprechen von hybriden Räumen, meinen aber adaptive Räume, die auf sich stetig wechselnde Veränderungen und Funktionen reagieren sollten. Die Strukturalisten in den 1950er- und 60er-Jahren sprachen schon von integrierter Zusammenlebensstruktur. Kenzo Tange schrieb 1966: „Wenn wir fragen, wie denn das Ding heiße, das dem Raum Struktur verleiht, so liegt die Antwort in der Kommunikation. (…) Ein architektonisches Werk oder eine Stadt zu schaffen kann verstanden werden als Konkretisierung des Kommunikationsnetzes im Raum.“ (Bauen + Wohnen: Strukturalismus: eine neue Strömung in der Architektur, 1976).
Dies erscheint aktueller denn je. Denn bei der Entwicklung von Räumen geht es nach wie vor um die Bedürfnisse der Nutzenden, um eine strukturierte, kuratierte Arbeitsraumplanung zur Effizienzsteigerung von Teams und Mitarbeitenden. Ähnlich dem Trend im Warenverkauf, nach dem immer neue Herausforderungen und Anreize für eine sich rasant verändernde Zielgruppe geschaffen werden müssen, heißt dies für die Bürowelt, dass Unternehmen sich fortlaufend auf die Erwartungen der Mitarbeitenden einstellen, Raum und Tätigkeit zunehmend kuratiert werden müssen: Für den Raum, der sich nach den allgemeinen und individuellen Erfordernissen gleichermaßen richtet, für den Bedarfsraum als Bühne.
BUCHTIPP: OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, HerstellernIn dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt und ausgezeichnet. Es handelt sich um besonders gelungene Planungs- und Einrichtungsbeispiele, „Lieblingsprojekte“ namhafter Architekten, Planer und Hersteller. Auch dieser im Berliner PRIMA VIER Nehring Verlag erschienene Sammelband stellt mit seinen 208 hochwertig produzierten Seiten ein opulentes Kompendium dar. Nach Grußworten von Prof. Carsten Wiewiorra (BDIA) und Helmut Link (IBA) sowie Autorenbeiträgen renommierter Architekten folgen die bilderreich dargestellten Referenzbeiträge: Top-Projekte, die den Architekten, Planern und Herstellern besonders am Herzen liegen und die Redaktion beeindruckt haben. „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“, Robert Nehring (Hg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 208 Seiten, DIN A4, 79,90 € (Hardcover), 64,90 € (E-Book). Erhältlich unter office-roxx.de/shop. |