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Ein Appell an veränderungswillige Organisationen

Wie kön­nen wir in Zukunft arbei­ten, um den Her­aus­for­de­run­gen in der Arbeits­welt gewach­sen zu sein? Eine Ant­wort auf die­se oft gestell­te Fra­ge lau­tet: Trans­for­ma­ti­on mit­tels New Work. Wie Orga­ni­sa­tio­nen dabei vor­ge­hen kön­nen, beschreibt Marei­ke Ver­dic­chio.

Die Arbeitswelt ist bereit und gezwungen, sich neuen Methoden und Ideen zu öffnen. Abbildung: Wavebreakmedia, iStock (837902802)

Die Arbeits­welt ist bereit und gezwun­gen, sich neu­en Metho­den und Ideen zu öff­nen. Abbil­dung: Wave­break­me­dia, iStock (837902802)

Die Idee von New Work wird Fri­th­jof Berg­mann* zuge­schrie­ben. Das heu­ti­ge Ver­ständ­nis von New Work hat jedoch kaum noch mit sei­ner ursprüng­li­chen Sozi­al­uto­pie zu tun. Im Kern ging es ihm dar­um, den Men­schen zu befä­hi­gen, her­aus­zu­fin­den, was er „wirk­lich, wirk­lich“ tun möch­te und wie dies der Mensch­heit hel­fen könn­te, grö­ße­ren Her­aus­for­de­run­gen zu begeg­nen. Sei­ne Ideen stam­men aus den 1980er-Jah­ren. 2004 schrieb er sie struk­tu­riert in der Form nie­der, die die Grund­la­gen für unser heu­ti­ges Ver­ständ­nis von New Work dar­stel­len, das unser Wirt­schafts- und Gesell­schafts­sys­tem aller­dings mehr nicht infra­ge stellt. Cars­ten C. Scher­mu­ly* for­mu­liert dies als „die roten Socken ausziehen“.

Der theoretische Unterbau

Fre­de­ric Laloux* beschreibt zehn Jah­re spä­ter (2014) die Ent­wick­lung von Orga­ni­sa­tio­nen und zeigt einen mög­li­chen nächs­ten Schritt die­ser Ent­wick­lung auf: die inte­gra­le evo­lu­tio­nä­re Orga­ni­sa­ti­on. Auch er tas­tet das Gesamt­sys­tem nicht an, son­dern bleibt bei den Mög­lich­kei­ten, die Orga­ni­sa­ti­on und Mensch im vor­han­de­nen Sys­tem haben. Vie­le Metho­di­ken, die heu­te für Trans­for­ma­tio­nen ver­wen­det wer­den und von einer Heer­schar Bera­ter, Trai­ner und Coa­ches inten­siv beackert und ver­kauft wer­den, fin­den sich hier in Rein­form wieder.

Ein wei­te­res Jahr­zehnt spä­ter ist Coro­na über­wun­den, der Krieg in der Ukrai­ne und Isra­el dau­ert an, die KI hält Ein­zug und die Baby­boo­mer gehen in Ren­te. Die Arbeits­welt ist bereit und gezwun­gen, sich neu­en Metho­den und Ideen zu öff­nen. Der Markt wird über­schwemmt mit Begriff­lich­kei­ten, die alle irgend­wie New Work sind.

Dass es sich bei „New Work“ um einen Con­tai­ner-Begriff han­delt, ist Kon­sens. Im Con­tai­ner lagert ein umfas­sen­der, zuwei­len auch frag­wür­di­ger Schatz, bestehend aus Ideen, Sicht­wei­sen, Model­len und vor allem Metho­den, die wie­der­um gern in Wirk­fel­der, Dimen­sio­nen, The­sen oder Prin­zi­pi­en geglie­dert sind. Zu allem fin­den sich jeweils wenigs­tens 17 Bücher und 1.859 Linkedin-Posts.

Wer wei­ter her­un­ter­bricht, lan­det schnell bei den The­men Füh­rung, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Pro­zes­se, Struk­tu­ren, Macht, Kon­trol­le, Ver­ant­wor­tung, Empower­ment, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Diver­si­tät. Es fal­len Stich­wor­te wie Mut, Offen­heit, Ver­trau­en, Akzep­tanz, Los­las­sen, Dank­bar­keit, Geduld. Und selbst­ver­ständ­lich ist alles nach­hal­tig. Einen ganz­heit­li­chen Ansatz muss sich jede Orga­ni­sa­ti­on indi­vi­du­ell zusam­men­stel­len. Es gibt kei­ne all­ge­mein­gül­ti­gen Blau­pau­sen. Das ist zugleich Kern, Segen und Fluch von New Work.

Die Orga­ni­sa­ti­on, die ver­än­de­rungs­wil­lig ist, kann sich wei­te­re Inspi­ra­tio­nen und Fach­wis­sen holen. Nicht nur über Bücher, auch ande­re Medi­en. Lin­ke­din-Voices, Netz­werktref­fen, Pra­xis­bei­spie­le und Insti­tu­tio­nen bie­ten eine Fül­le an Infor­ma­tio­nen. Doch wie kön­nen die­se all­ge­mei­nen Theo­rien, Mei­nun­gen und Ideen auf die eige­ne Orga­ni­sa­ti­on ange­wandt wer­den? Wie star­tet die prak­ti­sche Trans­for­ma­ti­on? Ich appel­lie­re an den mensch­li­chen Ver­stand und sei­ne krea­ti­ve Tat­kraft. Sel­ber den­ken! Aus­pro­bie­ren! Machen! Jetzt! Denn: „Noch nie hat jemand Kla­vier spie­len gelernt, indem er ein Buch dar­über las.“ (Edel Maex*). Die Pra­xis kann nur aus den Men­schen herauskommen.

Was tut der Mensch?

Er erklärt sich bereit, die­se drei Aspek­te zu ler­nen: Ver­trau­en, Erfül­lung, Begleitung.

Ver­trau­en in sich selbst, in ande­re, in das gro­ße Gan­ze. Das bedeu­tet, offen zu sein für Neu­es, Altes und vor allem für den Men­schen und sei­ne Eigen­schaf­ten, Mei­nun­gen und Ideen. Es bedeu­tet, hin­zu­se­hen und ste­hen las­sen oder den nächs­ten Schritt gehen zu kön­nen. Es bedeu­tet, ins Akzep­tie­ren und Han­deln kom­men zu kön­nen. Wer han­delt, kann erfah­ren. Wer erfährt, kann lernen.

Erfül­lung als eine Art Aus­ge­gli­chen­heit zwi­schen allem, was da ist, zwi­schen allem, was getan wird. Wer sich erfüllt fühlt, wie er ist und von dem, was er tut, kann auch die Din­ge und Umstän­de zulas­sen, die not­wen­di­ger­wei­se getan oder akzep­tiert wer­den müs­sen. Dabei ver­än­dern sich Bewer­tun­gen. Wer Bewer­tun­gen los­las­sen oder auch ein­fach ste­hen las­sen kann, erlebt eine neue Form von Frei­heit. Wer frei ist, erfährt weni­ger Begren­zung und kann die Din­ge neu denken.

Beglei­tung bedeu­tet nicht, die Ver­ant­wor­tung oder Anstren­gung für jeman­den oder etwas zu über­neh­men. Beglei­tung fin­det neben­ein­an­der statt. Sie bedeu­tet, da zu sein. Sie kann als Spie­gel fun­gie­ren oder als wei­ßes Blatt. Sie wahrt die Gren­zen. Sie hört zu, wenn es Zeit zum Zuhö­ren ist, und sie spricht, wenn es Zeit zum Spre­chen ist. Wer beglei­tet wird, erfährt Ver­trau­en und Groß­zü­gig­keit. Wer beglei­tet, erfährt Ver­trau­en und Dankbarkeit.

Alle drei Aspek­te flie­ßen inein­an­der und fin­den neben­ein­an­der statt. Sie dür­fen als gro­be Ori­en­tie­rung für die (eige­nen) Poten­zia­le des Men­schen dienen.

Was tut die Organisation?

Wenn Men­schen begin­nen wahr­zu­neh­men, wel­che Poten­zia­le in ihnen ste­cken, benö­ti­gen sie einen Rah­men, der ihnen Wege zum Erfah­ren und Aus­pro­bie­ren öff­net, gleich­zei­tig Sicher­heit und Sta­bi­li­tät schafft und nicht allein lässt. Es soll­te Aus­ge­wo­gen­heit zwi­schen Frei­heit und Ver­ant­wor­tung ent­ste­hen. Und mit die­ser Aus­ge­wo­gen­heit kön­nen dann New-Work-Maß­nah­men für die Orga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckelt wer­den. Ein simp­ler Ansatz dafür ist, Räu­me zur Ver­fü­gung zu stel­len. Zum Beispiel:

  • Raum der Stil­le. Die­ser Raum ist nüch­tern, aber warm gestal­tet. Es gibt kei­ne audi­tiven oder visu­el­len Rei­ze. Ein Raum der Stil­le ermög­licht zunächst eine Aus­ein­an­der­set­zung mit sich selbst. Was ist da eigent­lich alles in mir? Das könn­te eine Fra­ge­stel­lung sein, mit der sich ein Betei­lig­ter in die­sen Raum begibt. Den Raum zu haben, sich selbst ken­nen­zu­ler­nen und zu reflek­tie­ren, führt zu Ver­trau­en in sich selbst. Wer den Raum mit meh­re­ren Men­schen gleich­zei­tig nutzt, lernt das Ver­trau­en in ande­re und erfährt Sicher­heit. Sowohl durch die räum­li­che Umge­bung als auch die akzep­tier­ten und ein­ge­hal­te­nen Spielregeln.
  • Raum zum Aus­pro­bie­ren. Und zwar mit den Hän­den. Men­schen ler­nen über ihre Sin­ne und die damit ver­bun­de­nen Erfah­run­gen. Sie haben Ideen im Kopf oder Gefüh­le im Her­zen. Um dem Aus­druck ver­lei­hen zu kön­nen, ste­hen hier Mate­ria­li­en zur Ver­fü­gung. Als Ori­en­tie­rung für die Viel­falt kön­nen ergo­the­ra­peu­ti­sche Mit­tel die­nen. Um eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen: Spie­le, Pape­te­rie, Holz­be­ar­bei­tung, Tex­ti­li­en, Biblio­thek. Das Arbei­ten mit Werk­stof­fen för­dert ins­be­son­de­re das Wahr­neh­men der Selbst­wirk­sam­keit. Hier kön­nen Pro­ble­me for­mu­liert wer­den, die krea­ti­ve und inno­va­ti­ve Lösun­gen erfordern.
  • Raum für Kom­mu­ni­ka­ti­on. Es gibt viel­leicht einen grö­ße­ren Bereich, wo sich mehr Men­schen gleich­zei­tig aus­tau­schen kön­nen, aber vor allem auch klei­ne­re Berei­che, die dem Rück­zug von zwei oder drei Per­so­nen die­nen. Der krea­ti­ven Gestal­tung ist kei­ne Gren­ze gesetzt. Hier gibt es die Mög­lich­keit, in den Aus­tausch zu kom­men, ent­we­der mit einer ganz kon­kre­ten Fra­ge oder aber durch Inspi­ra­tio­nen, die sich im Raum befin­den. Dies kön­nen zum Bei­spiel Expo­na­te von Betei­lig­ten sein, die Vor­stel­lung von Pro­jek­ten per­sön­li­cher oder orga­ni­sa­tio­na­ler Natur, eine Biblio­thek oder eine Kate­go­rie „Was machst du gera­de?“ Vor allem wer­den hier die Ideen oder Ergeb­nis­se aus allen drei Räu­men ver­öf­fent­licht, sofern dies von den Urhe­bern erwünscht ist.

Für alle Räu­me gilt: Hier tref­fen Men­schen auf­ein­an­der, es gibt kei­ne Rol­len und kei­ne Hier­ar­chien. Jeder Raum wird sei­ner Funk­ti­on gemäß genutzt. Es fin­det infor­mel­le Begeg­nung statt und damit auch Beglei­tung. Die­se geschieht auf Augenhöhe.

Die Räu­me kön­nen und sol­len von allen Betei­lig­ten genutzt wer­den. Viel­leicht gibt es eine Ver­ein­ba­rung, die besagt, dass pro Woche zwei­ein­halb Stun­den im Rah­men der offi­zi­el­len Arbeits­zeit hier ver­bracht wer­den. Für jeden Raum kön­nen Fra­ge­stel­lun­gen for­mu­liert wer­den, die sowohl dem Men­schen als auch der Orga­ni­sa­ti­on dien­lich sein kön­nen, um New-Work-Maß­nah­men oder Tages­ge­schäfts­fra­gen zu bespre­chen und umzu­set­zen. Dies ist als Ein­la­dung zu ver­ste­hen, nicht als Anwei­sung. Das för­dert die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und die Selbst­füh­rung. Das Gemein­schafts­ge­fühl wird gestärkt. Auch Share­hol­der sind herz­lich ein­ge­la­den, sich zu beteiligen.

Die Gestal­tung die­ser Räu­me soll­te par­ti­zi­pa­tiv sein, sobald die Unter­neh­mens­lei­tung sich dafür ent­schie­den hat, und die Betreu­ung der Räu­me durch eine vol­le Stel­le besetzt sein. Alle paar Wochen kön­nen ver­öf­fent­lich­te Ergeb­nis­se zusam­men­ge­fasst außer­halb der Räu­me vor­ge­stellt werden.

Im Ide­al­fall ent­steht schon durch die Stär­kung der drei Aspek­te orga­ni­sches Wachs­tum, sodass die Orga­ni­sa­ti­on den Men­schen und die dazu­ge­hö­ri­ge Arbeits­welt aus sich selbst her­aus­wach­sen und gedei­hen lässt. Im Worst Case sind ein paar Krö­ten ver­lo­ren. Rea­lis­tisch betrach­tet kön­nen hier Ideen und Pro­blem­lö­sun­gen im Anfangs­sta­di­um kre­iert und immer wie­der über­prüft wer­den. Am ehes­ten trifft es die Bezeich­nung Ent­wick­lungs- und Lern­ab­tei­lung. Sowohl Ent­wick­lung der Betei­lig­ten als auch der Orga­ni­sa­ti­on und der Arbeitswelt.

Ist das dann jetzt New Work?

Nein. Es ist viel­mehr das Erschaf­fen einer (phy­si­schen) Basis, um New-Work-Maß­nah­men und -Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln, die auf die eige­ne Orga­ni­sa­ti­on zuge­schnit­ten sind. Sie för­dert Hand­lung und (kri­ti­sches) Den­ken und damit auch Inno­va­ti­on und Trans­for­ma­ti­on. Es kann in klei­nen Schrit­ten vor­ge­gan­gen wer­den und suk­zes­si­ve Erwei­te­run­gen geben. Die Kos­ten sind über­schau­bar. Die wich­tigs­ten Kom­po­nen­ten in die­ser Idee sind: Selbst den­ken! Machen! Jetzt! Gemeinsam!

Mareike Verdicchio, New-Workerin, Trainerin, Projektassistentin Orgatec. Abbildung: privat

Abbil­dung: privat

Marei­ke Ver­dic­chio,
New-Worke­rin, Trai­ne­rin, Pro­jekt­as­sis­ten­tin Orgatec.

orgatec.de

 

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