Können Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen vor Covid-19 schützen? Forscher der drei Stuttgarter Fraunhofer-Institute IBP, IGB und IPA wollen mit einer gemeinsamen Studie Antworten auf diese Frage finden.
Ursprünglich sind Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen entwickelt worden, um Staub und stickige Luft aus Innenräumen herauszufiltern und Frischluft von außen anzusaugen. Wie sie sich auf die Verbreitung von Viren auswirken, interessierte lange kaum jemanden. Dann kam Corona und seither ist klar: Lüftungsanlagen können in Kombination mit Klimatechnik die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in geschlossenen Räumen begünstigen.
„Je kälter und trockener die Luft, desto einfacher breitet sich das Virus aus“, sagt Dr. Udo Gommel, Bereichsleiter Automatisierung und Reinheitstechnik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. „Denn dann verdunsten die winzigen Wassertröpfchen schneller, in denen das Virus enthalten sein kann, und es schwebt länger durch den Raum“, ergänzt Professor Dr. Gunnar Grün, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP.
Da ständiges oder häufiges Lüften nicht nur in der kalten Jahreszeit kaum eine Alternative ist, müssen bestehende Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen umgerüstet und neu zu verbauende anders konstruiert werden. Aber wie anders? Und wie genau wirken sich bestehende Lüftungsanlagen ohne Klimatechnik auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 aus? Genau das möchte nun ein Forschungsteam in einer gemeinsamen Studie herausfinden.
Dekontamination von Filtern
Dazu wollen sich die Wissenschaftler einen Überblick verschaffen: Welche festinstallierbaren oder mobilen Lüftungsgeräte sind auf dem Markt verfügbar? Wie wirken sie sich auf Viruslast, Partikel, Geräuschentwicklung und Behaglichkeit in geschlossenen Räumen aus? „Unsere Aufmerksamkeit gilt natürlich auch nachhaltigen Aspekten, wie der praktischen Anwendung, Wartung und dem Energieverbrauch der Geräte“, sagt Professor Grün.
Die theoretischen Betrachtungen münden zunächst in Simulationen und anschließend in praktische Tests. Das Forschungsteam möchte mit den Anlagen im Reinraum des Fraunhofer IPA, in den Labors von Fraunhofer IBP und IGB oder einfach dort, wo sie ohnehin schon verbaut sind, Versuche durchführen, beispielsweise in Besprechungs- und Konferenzräumen oder Arbeitsstätten. Dort werden sie zusammen mit Herstellern von Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen verschiedene Szenarien simulieren und bewerten, wie sie sich auf die Aerosolverteilung im Raum auswirken. So lassen sich schnell belastbare Erkenntnisse gewinnen.
Am Ende stehen dann konkrete Vorschläge, wie Lüftungsanlagen verbessert oder umgerüstet werden müssen, damit sie die Ausbreitung von SARS-CoV-2 möglichst unterbinden. Eines ist aber jetzt schon absehbar: „Wenn Lüftungsanlagen Krankheitserreger aus Innenräumen herausfiltern, sind ihre Filter mit Viren belastet“, gibt Studienleiter Gommel zu bedenken. „Also können die Filter beispielsweise mit ultraviolettem Licht bestrahlt werden, wodurch die Viren inaktiviert werden. Da diese UV-Strahlung schädlich für das menschliche Auge und die Haut ist, muss die Bestrahlung abgeschirmt in einem eigens konstruierten Gehäuse oder Bereich stattfinden.“
Tests zeigen Wirksamkeit von Luftreinigungstechnik
„Um möglichst belastbare Aussagen treffen zu können, arbeiten wir dabei mit sogenannten Surrogat-Viren. Diese für den Praxistest eingesetzten Modellviren sind den neuartigen Coronaviren sehr ähnlich, für Mensch und Umwelt aber unbedenklich“, erläutert Professor Dr. Susanne Bailer vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. „Indem wir die Viren vor und nach Maßnahmen zur Luftreinhaltung hinsichtlich ihrer Aktivität und Menge analysieren, lassen sich Rückschlüsse auf notwendige Anpassungen der Lüftungsanlagen oder Inaktivierungsschritte ziehen“, so die Virus-Expertin weiter.
Finale Ergebnisse Anfang 2022
Die Studienergebnisse könnten als Grundstein für weitere Untersuchungen dienen. Denn auch als Überträger anderer infektiöser Viren und in anderen Lebensbereichen sind Aerosole ein ernsthaftes Problem: angefangen bei der Luftverschmutzung durch Feinstaub und Stickoxide in zahlreichen deutschen Großstädten über toxische Dämpfe in Flugzeugkabinen und Materialausdünstungen in Gebäuden bis hin zu giftigen oder leitfähigen Partikeln, die die Batteriezellenfertigung stören. Auf Basis weiterführender Studien wäre die Industrie künftig in der Lage, wirkungsvolle und kostengünstige Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen für breite Anwendungsbereiche zu entwickeln.