Über neun Jahre werteten Benjamin Aretz und Professorin Gabriele Doblhammer vom Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock gemeinsam mit einem Neurologen und Epidemiologen der Universität Groningen in den Niederlanden Daten von etwa 50.000 Personen im Alter von 18 bis 92 Jahren aus. Dabei wurden bei den Probanden verschiedene Parameter gemessen, wie beispielsweise die Lungenfunktion und die kognitive Leistungsfähigkeit.
Direkte und indirekte Wirkung von Feinstaub
Das Besondere: Die an der Studie beteiligten Personen lebten in drei ausgesuchten Provinzen der nördlichen Niederlande. „Diese Provinzen waren für uns deshalb so interessant, weil die Feinstaubbelastung dort verhältnismäßig gering ausfällt“, sagt Benjamin Aretz. Der 32-jährige Wahl-Rostocker und gebürtige Bonner forscht als Doktorand an der Universität Rostock sowie an der Universität Groningen zu Umwelteinflüssen auf die Gesundheit des Menschen.
Die im Fachblatt Environmental Research veröffentlichte Studie ist eine der bisher wenigen, die einen Einfluss von Feinstaub auf die Gehirnleistungsfähigkeit nachweisen konnte. Erschreckend dabei: Die Wissenschaftler vermuten, dass der Feinstaub vermutlich sowohl von der Lunge, als auch über den Geruchsnerv oder über den Blutkreislauf in das zentrale Nervensystem eindringen könne.
Bei seiner Untersuchung widmete sich das Forschungsteam besonders der Frage, ob es auch unter geringer Feinstaubbelastung zu einer Beeinträchtigung der Gehirnleistung komme. „Deshalb haben wir uns die Wirkpfade des Feinstaubs auf die Gehirnleistungsfähigkeit genauer angeschaut“, erläutert Benjamin Aretz. Wie das untersucht wurde, erklärt er: „Mittels statistischer Modellierung kann zwischen indirekten und direkten Einflüssen des Feinstaubes auf die Gehirnleistungsfähigkeit unterschieden werden.“
Von Konzentrationsproblemen bis Gedächtnisverlust
„Wie erwartet“, sagt der Rostocker Forscher, „bremst die Luftverschmutzung die geistige Leistungsfähigkeit.“ Die Forscher gehen von zwei Wirkpfaden des Feinstaubs aus: einem indirekten über die Lunge mit anschließender Schädigung der Gehirnleistungsfähigkeit und einem zweiten direkten Pfad zum Gehirn. Dieser verläuft vermutlich über den Blutkreislauf bzw. den Geruchsnerv und endet im Gehirn.
Die Erkenntnis: Ganz kleine Partikel könnten die Blut-Hirn-Schranke, die ein Eindringen schädlicher Partikel eigentlich verhindern soll, passieren. „Das könnte dann zu einer Schädigung im Gehirn führen“, sagt Aretz. „Die Studie zeigt, dass Feinstaub neben der Lunge weitere menschliche Organe direkt erreichen und schädigen kann.“ Eine Beeinträchtigung der Denkleistung könne sich durch zeitweise oder andauernde Probleme der geistigen Leistungsfähigkeit äußern. Typische Beschwerden seien beispielsweise zunehmende Vergesslichkeit, herabgesetzte Aufmerksamkeit, Konzentrationsprobleme, Sprachstörungen, Orientierungsprobleme oder Gedächtnisverlust.
Luftschadstoffbelastung weiter reduzieren
Weil Feinstaub ein großes Gesundheitsrisiko birgt, empfiehlt die WHO niedrigere Grenzwerte. Das bedeute eine Senkung von jetzt 25 auf fünf Mikrogramm pro m3 Luft im Jahresdurchschnitt. Übertragen auf den gesellschaftspolitischen Kontext könne man sagen, dass Feinstaub als ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko anzusehen sei. „Er scheint nicht nur die Lunge zu schädigen, sondern auch direkt und indirekt die Gehirnfunktion“, sagt Benjamin Aretz. Damit beeinträchtige Feinstaub die geistige Gesundheit. „Politische Maßnahmen sollten daher in Zukunft darauf abzielen, die Luftschadstoffbelastung vor allem in unserem direkten Lebensumfeld zu reduzieren, da wir dort viel Zeit verbringen“, betont der Rostocker Forscher.